Rezension

Beginnt stark, endet schwach

Die Unvollkommenen - Theresa Hannig

Die Unvollkommenen
von Theresa Hannig

Bewertet mit 3 Sternen

"Die Unvollkommenen" ist der Folgeband der mehrfach ausgezeichneten Dystopie "Die Optimierer" und stammt aus der Feder von Theresa Hanning. Vom Aufbau her kann das neue Werk der Autorin durchaus ohne Vorkenntnisse als Einzelband gelesen werden. Die Handlung spielt fünf Jahre nach dem ersten Buch - fünf Jahre, in denen sich die Welt weiter verändert hat. Daher wird es auch für Leser des ersten Bandes einige Überraschungen geben.

Europa im Jahr 2057: Dank der entstandenen Optimalwohlökonomie und einer vollkommenen Überwachung der Menschen herrscht Frieden. An der Spitze der Macht steht eine KI, die wie ein Gott verehrt wird. Verbrecher werden weggesperrt und mit Medikamenten und Gehirnwäsche ruhiggestellt. Die Systemgegnerin Lila erwacht nach fünf Jahren Verwahrung in einem überaus luxuriösen Gefängnis, das auf den ersten Blick keine Wünsche offen lässt. Doch dann erfährt Lila mehr über Samson Freitag, die KI, die Europa regiert. Bald hat sie nur noch ein Ziel: Samson Freitag aufzuhalten und seine Macht über die Menschen zu brechen.

Der Einstieg in das Buch ist mir dank des flüssigen Schreibstils sehr leicht gefallen. Obwohl ich den Vorgängerband "Die Optimierer" nicht kenne, konnte ich mich auf Anhieb gut orientieren und in der Geschichte zurechtfinden. Gemeinsam mit der Protagonistin Lila entdeckt man die von der Autorin erschaffene Welt. Nachdem Lila fünf Jahre lang in Verwahrung war, hat sich vieles verändert. Die technologisch hoch entwickelte Welt der Zukunft mit dem System der Optimalwohlökonomie konnte mich von Anfang an in ihren Bann ziehen. Das Ergebnis scheint auf den ersten Blick hervorragend zu sein: In der Bundesrepublik Europa herrscht Frieden und das Leben aller Bürger wurde "optimiert". Menschen und Roboter leben Seite an Seite und alles scheint reibungslos zu funktionieren - bis man einen Blick hinter die Kulissen wirft. Der Frieden wird durch totale Kontrolle, lückenlose Überwachung, Gehirnwäsche und chemische Substanzen gewahrt. Über allem steht eine Künstliche Intelligenz, die alle Strippen in den Händen hält und wie ein Gott angebetet wird. Diese Grundidee hat mir wahnsinnig gut gefallen und die Autorin punktet mit einer überaus gelungenen Umsetzung. Der Schreibstil ist prägnant und klar, teilweise schon regelrecht kühl und passt perfekt zu der kalten, emotionslosen Welt der Zukunft. Beim Lesen kommen sehr viele Fragen aus über Themen, mit denen man sich ansonsten weniger beschäftigt. Was macht das Menschsein aus? Wo sollten aus wissenschaftlicher Sicht Grenzen liegen? Was bedeutet Glück? Wie intelligent darf eine KI sein? Die Autorin gibt wirklich spannende Denkanstöße. Bis zum letzten Abschnitt des Buches hätte ich glatte fünf Sterne vergeben. Doch leider hat mir gerade der wichtigste Teil eines Buches nicht gefallen: Das Ende. Man wartet die ganze Zeit gespannt auf den großen Knall, ein spannendes Finale voller Überraschungen. Unvorhersehbare Wendungen gibt es zwar, aber leider nicht im positiven Sinne. Das Ende wird wahnsinnig schnell abgehandelt und wirkt in meinen Augen einfach nur unglaubwürdig. Zumal dem Leser keinerlei Beweggründe für die Handlungen der Protagonisten geliefert werden. Das Finale des Buches hat mich leider sehr enttäuscht zurückgelassen, da es nicht authentisch wirkt und viel zu offen ist. Zudem gibt es einige Szenen im Buch, die nicht weiter erklärt oder am Ende nochmal aufgegriffen werden. Nach Aussage der Autorin ist kein weiterer Band geplant, der die vielen losen Enden aufgreifen könnte.

"Die Unvollkommenen" von Theresa Hanningist eine Dystopie, die stark beginnt und schwach endet. Zu Beginn war ich richtig begeistert. Die Handlung ist spannend und regt sehr viel zum Nachdenken an. Doch leider wartet man am Schluss vergeblich auf ein großes Finale. Das Ende wird rasend schnell abgehandelt und ist zudem zu offen. Viele Fragen werden nicht beantwortet und man weiß eigentlich nicht so richtig, was die Handlungen von Lila letztendlich bewirkt haben. Für einen Reihenabschluss genügt mir dieses Ende einfach nicht. Daher kann ich schweren Herzens nur drei Sterne vergeben.