Rezension

Behindert, zerbrechlich, orthopädisch auffällig, aber gesegnet. Das ist mein Leben.

Espenlaub - Jürgen Mette

Espenlaub
von Jürgen Mette

Behindert, zerbrechlich, orthopädisch auffällig, aber gesegnet. Das ist mein Leben.

„Der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln…“

Der alleinstehende Anton Hinteregger führt ein äußerst arbeitsames Hirtenleben, er ist Kuhhirte aus Leidenschaft und lebt mit seinen Kühen abwechselnd im Sommerquartier auf der Alm und im Winterquartier bei der Familie des Raffaltbauern Alois Schmid. Nach dem schrecklichen Unfalltod der Mutter nahm sich die tiefgläubige Altbäuerin Walburga Schmid des armen Waisenkindes an und nahm es wie einen eigenen Sohn in die Familie auf. Da Anton aufgrund seiner Sprachbehinderung kein Schulbesuch möglich war, unterrichtete die ausgebildete Lehrerin Walburga den Jungen. Sie lehrte ihm die Liebe zur Literatur und zeigte ihm den Weg zu einem fröhlichen und befreiten Christsein. Anton wuchs unter ihrer Obhut zu einem charakterstarken, zuverlässigen, fürsorglichen und gläubigen jungen Mann heran.

Als die gleichaltrige Evamaria Stocker als Hausmädchen auf den Raffalthof kam, begegnete Toni der Liebe seines Lebens. Zu seiner großen Freude erwiderte das hübsche und fröhliche Mädchen seine Gefühle und die beiden planen eine gemeinsame Zukunft. Evis Mutter kann jedoch aufgrund ihrer Standesdünkel den Freund der Tochter nicht akzeptieren und sorgt auf sehr effektive Art und Weise dafür, die Liebenden zu trennen. Evi wird für zwei Jahre zum Studium nach England geschickt, kehrt jedoch entgegen allen Zusagen und Versprechungen nach dieser Zeit nicht mehr zurück. Sie gerät in die Fänge einer Sekte und bricht unter dem Einfluss des fanatischen Sektenführers jeden Kontakt zu ihrer großen Liebe, ihrer Familie und ihren Freunden ab.

Toni leidet sehr unter der Trennung von Evi und seiner quälenden Einsamkeit, er ist tief verletzt und die sterbende Hoffnung auf ihre ist beinahe schlimmer als seine Diagnose Morbus Parkinson.

Jürgen Mette hat sich mit diesem Roman zielstrebig in mein Herz geschrieben. In seiner Geschichte über den geduldigen und in sich gekehrten Anton Hinteregger konzentriert er sich vor allem auf seinen Protagonisten, dessen Charakterisierung ihm hervorragend gelungen ist. Tonis stille Gedankenwelt, seine Emotionen, seine Ängste, aber auch sein Festhalten an der Hoffnung auf ein Wiedersehen mit seiner geliebten Evi werden im Buch sehr eindringlich und außergewöhnlich berührend beschrieben. Tonis früh verstorbene Mutter gab ihm einen starken Glauben mit auf den Weg, der durch die Person der Walburga Schmid noch vertieft wurde. In den langen Jahren der Einsamkeit und des Wartens auf Evi reifte er trotz tiefster Verzweiflung und infolge seiner Weigerung, nicht aufzugeben, zu einer in sich ruhenden Persönlichkeit, die auch anderen Menschen Mut und Hoffnung vermittelt.

Der Leser erhält in diesem Buch einige Informationen über die Parkinson-Erkrankung, beginnend von den ersten Anzeichen körperlicher Einschränkungen, über den Weg zu einer Diagnose bis hin zu verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten. Das Hauptaugenmerk wird jedoch stets auf die Person des Protagonisten gelegt und dessen Erfahrungen und Empfindungen in den Mittelpunkt gerückt. Der christliche Glaube spielt in diesem Buch eine zentrale Rolle, und in den Erzählsträngen, die sich mit dem Leben von Evamaria Stocker in London beschäftigen, erfährt man von ihrem Abgleiten in die Fänge einer Sekte.

Ich empfand „Espenlaub“ als tief berührende, zum Teil erschütternde Lektüre. Evis lange Abwesenheit ließ an manchen Stellen sogar einen gewissen Groll in mir entstehen, und das Wiedersehen ging mir ein klein wenig zu „glatt“ über die Bühne. Das happy end versöhnte mich jedoch mit Evis Abtrünnigkeit und ich möchte dieses Buch, das so voller Glauben und Hoffnung ist, jedem ans Herz legen, der sich mit der Parkinson-Erkrankung eines gläubigen Christen auseinandersetzen möchte.

Besonders berührt hat mich eine ganz bestimmte Passage eines Briefes, die Anton am Ende des Buches zitiert:

„Ich kann wieder glauben, dass ich trotz Parkinson vielleicht die beste Zeit meines Lebens noch vor mir habe. Nicht ein erfolgreiche, aber eine folgenreiche Zeit. Nicht eine furchtlose, aber tapfere Zeit. Nicht ein gesunde, aber doch eine geheilte Zeit. Nicht eine zweifelsfreie, aber doch keine verzweifelte Zeit. Nicht eine überzeugte, aber doch eine zeugnishafte Zeit. Ich bin allerdings auch ganz nüchtern darauf eingestellt, dass ich möglicherweise die schwerste Phase meines Lebens vor mir habe.“