Rezension

Bei mir schmolz die Geduld

Und es schmilzt - Lize Spit

Und es schmilzt
von Lize Spit

Bewertet mit 3 Sternen

          Zunächst möchte ich auf das sehr schöne Cover von Lize Spits Roman „Und es schmilzt“ eingehen. Das kühle Weiß sticht einem sofort ins Auge mit den gefrorenen Buchstaben, in denen Pflanzen eingeschlossen sind. Der Schnitt ist in einem satten Grünton gestaltet, der wiederum mit dem violetten Lesebändchen harmoniert. Ein Buch in einem sehr geschmackvollen Outfit, dass zum Anfassen einlädt!
Das Buch ist das Debüt der jungen Belgierin Lize Spit und ich hoffe, dass sie auf den 505 Seiten nicht ihr eigenes Schicksal preisgibt. Die Autorin gehört dem gleichen Jahrgang wie ihre drei Hauptfiguren an.

Die Geschichte beginnt zunächst harmlos in einem kleinen Dorf namens Bovenmeer im Kempener Land. Die Hauptakteure heißen Eva, Pim und Laurens. Sie sind gleichaltrig und die Einzigen ihres Geburtsjahres, so dass sie als „Beistellklasse“ zu anderen Schülern dazukommen. Sie nennen sich die „Drei Musketiere“. Ich würde sie nach dem Lesen dieses Buches als „Trio infernale“ bezeichnen wollen.
Das Geschehen entwickelt sich aus der Ich-Perspektive Evas und zog sich für mich in der ausführlichen, detailverliebten Erzählweise der Autorin sehr hin. Die Kapitel wechseln sich mit Uhrzeitangaben, welche die Gegenwart kennzeichnen sowie den Datumsangaben des Sommers 2002 und allgemeinen Überschriften, die Vergangenheit betreffend, ab.
Eine Haupthandlung oder einen roten Faden vermochte ich nicht zu erkennen. Mich schockierten nicht die erotischen Erfahrungen der Jugendlichen, sondern die Eiseskälte und die seltsame Distanziertheit der ausführlichen Schilderungen Evas von den Übergriffen bis hin zu der grausamen, sexuellen Gewalt ihr gegenüber. Vor allem, was ist der Auslöser dafür? Jeder Mensch entwickelt doch einen gewissen Selbstschutz. Warum erduldete sie das?
So, wie Lize Spit in einer Ausführlichkeit, die seinesgleichen sucht, die Umstände in Evas Familie schildert, kann ich nur vermuten, dass die Ursachen in dem Milieu zu finden sind. Die Familie de Wolf ist eine desolate Gemeinschaft von fünf Personen. Sie besteht aus der alkoholkranken Mutter, dem suizidgefährdeten Vater, der jüngeren, zwanghaft gestörten Schwester Tesje und dem älteren Bruder Jolan, der sich so oft es geht, verkrümelt. Auch bei Eva scheint sich eine schwere Störung ihrer Persönlichkeit entwickelt zu haben. Mir ist die Geschichte eindeutig zu lang, zu ausschweifend, zu unübersichtlich geraten, um das Ganze als logisch, folgerichtig und eindeutig einordnen zu können.

Ich kann mir vorstellen, dass dieses Buch sehr stark polarisiert. Mich konnte es nicht überzeugen trotz des überbordenden Hypes, der um diese Geschichte gemacht wird. Bei mir „schmolz“ immer mehr das Verständnis für das verstörende Verhalten der drei Jugendlichen. Mit großer Überwindung las ich das Buch zu Ende.

Ich vergebe drei von fünf Sternen!