Rezension

Beinhart komisch, liebevoll bissig, zum Heulen melancholisch.

Wir von der anderen Seite - Anika Decker

Wir von der anderen Seite
von Anika Decker

Bewertet mit 5 Sternen

Die Welt ist zweigeteilt: Auf der einen Seite leben die Gesunden und Sorglosen, auf der anderen die Kranken und Versehrten. Wie wenig beide Welten miteinander verbindet, merkt man erst, wenn man gezwungenermaßen die Seite wechseln muss. So ergeht es der Drehbuchautorin Rahel Wald. Nach einer schweren Blutvergiftung wird sie brutal aus dem Alltag gerissen und findet sich unvermittelt auf der anderen Seite wieder, in der Welt der Krankenhäuser, Intensivstationen und Rehas. Es ist für sie eine bittere Erkenntnis: "Wir müssen all akzeptieren, dass wir jetzt auf der anderen Seite leben, wo wir auf uns aufpassen müssen, wo der Herzschlag gemessen wird und wo wit mit der Angst leben, dass wir es nicht schaffen. Auf dieser Seite stehen wir, die Versehrten, und schauen sehnsüchtig auf die andere Seite, die der Sorglosen. Nur wenige kommen von dort rüber, um uns zu besuchen, neidisch gucken wir auf alle, die nach Hause gehen dürfen."  So ähnlich hat es die Autorin selbst erlebt. Sie erkrankte schwer. Ein Leben zwischen Beatmungsschläuchen und Betablockern - so authentisch kann darüber nur schreiben, wer all dies selbst durchlitten hat. Die Krankheit wird zur Zäsur. Zurückgeworfen auf die eigene Unzulänglichkeit, Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit, steht plötzlich alles zur Disposition. Die dauerkriselnde Beziehung, das precäre Leben als Drehbuchautorin all dies erscheint der Patientin Rahel Wald nun in einem neuen Licht und muss dringend einer Revision unterzogen werden. Ihre Leidensgeschichte beginnt eines Tages mit starken Nierenschmerzen. Doch in der Notaufnahme wird sie von einem verständnislosen Arzt als Hysterikerin und Simulantin abgetan. Diese Ignoranz kostet sie fast das Leben. Es folgt eine schwere Blutvergiftung mit anschließendem Koma und Herzschwäche. Für Monate ist die junge Frau außer Gefecht gesetzt, ist vollkommen auf ihren kranken und schwachen Körper zurückgeworfen. Der zermürbende Klinikalltag zwischen Pinkelpannen und Panik-Alpträumen wird haarklein beschrieben, die Autorin erspart dem Leser nichts. Das klingt zunächst wenig erbaulich. Und doch wird das Ganze überraschend unterhaltsam durch ein Feuerwerk witziger, knochentrockener und selbstironischer Kommentare und Reflexionen, bei denen immer wieder Deckers komödiantisches Talent durchblitzt. Hier merkt man die geübte Autorin, die um keine Pointe verlegen ist. So etwa als sie in einer Szene beschreibt, wie die Patientin, die sich in der Zwischenzeit einige Kilos angefuttert hat, erstmals wieder ihr altes, sexy Lieblingskleid aus schwarzer Seide überstreift. "Wir von der anderen Seite" ist eine Mutmachergeschichte. Wir erleben nicht nur die langsame Wiederauferstehung der Protagonistin von den Toten, sondern auch ihre Emanzipation vom nichtswürdigen Partner und vom fiesen Filmboss. Eine Mischung die gut ankommen dürfte. Zumal das Ganze einen kleinen Glamourfaktor hat. Auf einer Filmparty erscheinen echte Promis wie Iris Berben und Helene Hegemann. Fiktion und Wirklichkeit vermischen sich hier. Ein bewegender und zugleich humorvoller Roman, der zum Nachdenken anregt. Der Autorin ist eine gute Mischung aus Unterhaltung und dennoch auch nachdenklichen Momenten gelungen. Sommerlektüre mit Tiefgang. Wieder einmal ein tolles Buch für den Nachmittag draußen. Lesefutter!