Rezension

Belanglose Lebensgeschichte oder gefeiertes Künstlerdrama?

Die Gesichter
von Tom Rachman

Bewertet mit 2 Sternen

Dieser Roman ist das beste literarische Beispiel dafür, dass etwas von außen wunderschön sein kann und im gleichen Moment von innen unansehnlich. „Die Gesichter“ fängt durch das farbenfrohe Cover die Blicke und verführt dazu, die Story kennenlernen zu wollen, von der man erwartet, dass sie genau so abwechslungsreich, lebhaft und prächtig ist. Leider kann der neueste Roman von Tom Rachman diese Erwartungen meiner Meinung nach nicht erfüllen.

 

„Die Gesichter“ (im Original „The Italian Teacher“) beginnt in den 1950er Jahren und handelt von Bear Bavinsky, einem fiktiven, exzentrischen Künstler. Tatsächlich steht aber Bears Sohn Charles, liebevoll „Pinch“ genannt, im Mittelpunkt des Geschehens. Er befindet sich - seit er zu Beginn des Buches fünf ist - im Schatten seines Vaters und versucht mit dessen Ruhm zurechtzukommen. Pinchs Angst, dass Bears Erfolg ihm väterliche Verachtung oder Ignoranz einbringt, begleitet ihn noch viele Jahrzehnte.

 

Die Handlung an sich ist auf der einen Seite belanglos und blass, auf der anderen Seite geht sie viel zu schnell vonstatten. Die Passagen aus Pinchs Leben ziehen am Leser blitzschnell vorbei, sodass der Plot sehr gehetzt dahingeschrieben wirkt. Teilweise fühlt es sich an als würden Stellen fehlen, als wäre bereits zu viel gekürzt, als hätte der Autor wichtige Abschnitte außer Acht gelassen. Der Titel „Die Gesichter“ nimmt nur auf ca. 10% der Handlung Acht. Im Original bezieht sich der Titel auf die Figur von Pinch und was er eigentlich in seinem Leben verkörpert. Ein abstrakter deutscher Titel, der leider der Handlung nicht gerecht wird.

 

Die Beziehung zwischen Bear und Pinch steht im Vordergrund. Man nimmt eine ständige Auf– und Abbewegung dieser Beziehung war, nichts hat Hand und Fuß, was zwischen den beiden geschieht. Ausnahmslos alle Nebencharaktere des Romans sind flach gezeichnet und verlassen das Geschehen genauso schnell wieder wie sie hineingelangt sind. Die Partnerschaften und innigen Verhältnisse zwischen den Personen bauen sich überstürzt auf, nachdem sie ohne jeglichen Hintergrund starten. Die Dynamik des Buches ist anfangs noch zu spüren, lässt aber genauso rapide nach wie die Lust am Lesen, da man nur Dialoge geboten bekommt, die nichtssagend und leer sind.

 

Rachmans Schreibstil wirkte zu Beginn extrem hochtrabend, seine Umschreibungen ziellos. Hin und wieder schafft er es, eine angespannte Atmosphäre aufzubauen, die schnell abebbt und in ereignislosem und laschem Geschwafel endet. Ich habe nichts Besonderes an der Sprache des Romans feststellen können, sie hat mich weder berühren können, noch hat sie geholfen, dass ich mit einer Person mitfühlen konnte.

 

„Die Gesichter“ ist ein negatives Paradebeispiel für die Aussage „Bewerte niemals ein Buch nach seinem Cover“. Die Gestaltung zähle ich zu den schönsten, die ich bisher gesehen habe. Das Cover baut mit seiner Farbenpracht eine deutliche Verbindung zu dem künstlerischen Inhalt des Buches auf. Eindrucksvoll ist das Design des Rohmanuskripts, welches im unteren Viertel nicht mit Farbschlieren geziert ist, sondern mit Bleistift-/ Kohlestrichen, die dem Buch bereits von außen die Unvollständigkeit ansehen lassen. Dieses durchdachte Merkmal ist mir sehr positiv aufgefallen. In der Buchhandlung wird das innerlich und äußerlich ausgereifte Hardcover ein echter Hingucker sein.

 

Ich wünschte mir „Die Gesichter“ hätte 50 Seiten mehr, die mir Erklärungen liefern könnten, die mir während des Lesens gefehlt haben. Dieser Wunsch rückt aber in den Hintergrund, wenn ich bedenke, dass mich die Handlung gelangweilt hat und 50 Seiten mehr das Lesen zu einer Qual gemacht hätten. Der Roman war eine Enttäuschung – vor allem wenn man bedenkt, wie vielversprechend sich die Pressestimmen ausdrücken. Leider hat mich „Die Gesichter“ nicht emotional berührt, geschockt, auf ganzer Strecke nicht einmal interessiert. Es hat mir keinerlei Botschaft mitgegeben oder irgendeinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.