Rezension

Bergbesteigung

Kompass für schwierige Gespräche - Das EIGER-Modell - René Meier

Kompass für schwierige Gespräche - Das EIGER-Modell
von René Meier

Bewertet mit 4 Sternen

Das Wortspiel hat was. EIGER ist die Abkürzung für fünf Gesprächsphasen: Ereignis - Interpretation - Gefühle - Empathie - Reaktion. Gleichzeitig denkt man aber auch sofort an die Besteigung der Eiger-Nordwand, und diese Assoziation ist durchaus beabsichtigt.

Der eigentlichen Vorstellung des EIGER-Modells geht ein Kapitel über den Leser selbst voraus mit der Überschrift "Die wichtigste Person sind Sie!" Ganz mühelos ist der Weg zur besseren Kommunikation also nicht, denn er führt zunächst einmal zum eigenen Selbst. In kleinen mundgerechten Bissen wird dem Leser psychologisches Basiswissen vermittelt. Das gefällt mir eigentlich ganz gut. Bei der Überschrift "Versöhnen Sie sich mit Ihrer Vergangenheit" wird es allerdings dann ein bisschen realitätsfern. Wie soll das gehen, mich mal eben schnell mit meiner Vergangenheit zu versöhnen, bevor ich in schwierige Gespräche gehen kann? Auch, wenn in dem Kapitel durchaus hilfreiche Ratschläge stehen.

Durch den "Theologischen Kompass", der jeweils ein Kapitel abschließt und sich im Anhang fortsetzt, wird ein Bezug des Gelesenen zum christlichen Glauben und zur Bibel hergestellt. Diese strikte Trennung macht das Buch möglicherweise auch für Nichtgläubige interessant.
Anfangs gefallen mir diese theologischen Bemerkungen sehr. Selten habe ich jemanden so verblüffend die Verbindung zwischen Glauben und Kommunizieren ziehen sehen. Grundsätzlich ist der "Theologische Kompass" auch genau richtig dosiert. Er erschlägt einen nicht, sondern weist nur immer wieder auf die christliche Grundlage jedes Ratschlags hin.

Oft lässt der Autor Beispiele aus seinem Beruf als Pfarrer einfließen. Auch ein Burnout auf Grund von zwischenmenschlichen Spannungen kommt zur Sprache.
Ergänzt wird das EIGER Modell mit verschiedenen anderen gängigen Kommunikationsmodellen; der Autor pickt uns sozusagen die gut anwendbaren Rosinen aus dem Wust von Konzepten heraus.

Während der Lektüre merke ich, dass es mir persönlich nicht besonders liegt, Gespräche in einzelne Phasen einzuteilen. Es kann aber für den einen oder anderen durchaus hilfreich sein. Auch bei mir hat die Bewusstmachung der Vorgänge und Methoden zumindest einige Denkanstöße losgetreten.

Die unter "Gewaltfreie Kommunikation" angegebenen Beispiele befriedigen mich noch nicht völlig. Die beschriebenen Gesprächsschritte sind ein guter Schritt in die richtige Richtung, aber es handelt sich hauptsächlich um Gesprächspositionen eines Vorgesetzten. Was soll ich damit? Ich sitze auf der anderen Seite! Außerdem können genau diese Formulierungen von Vorgesetzten enorm besserwisserisch daherkommen. Zudem sind es kleine Monologe, die einen Einwand oder eine Rechtfertigung des Gegenübers trotz Sachlichkeit gar nicht zuzulassen scheinen.

Die drei unter dem Oberthema "Reaktion" beschriebenen Ausgangspositionen "Ich bin im Recht...", "Ich bin im Unrecht...", "Weder ich noch der Andere ist im Recht" empfinde ich als ein sehr theoretisches Konstrukt. Wie oft ist man im Unrecht und merkt es nicht? Oder wie oft sind beide Gesprächspartner mehr oder weniger im Recht? Dieses Modell greift hier viel zu kurz. Ich will gar nicht wissen, was es für Auswirkungen hätte, wenn alle Politiker sich an dieser Methode versuchen würden.

Der "Theologische Kompass mit Weitblick" im Anhang ist immer wieder interessant, aber nicht so ergiebig wie ich gedacht hatte. Beim Thema Gefühle zum Beispiel beschränkt er sich darauf, verschiedene Bibelgestalten und die von ihnen erfahrenen Gefühle aufzuzählen. Und bei den angehängten Gedanken zum Thema "Zahnpastaprinzip" verrennt sich der Autor dann ordentlich, indem er (Stichwort: Gefühle) vom Geschöpf auf den Schöpfer zu schließen versucht statt umgekehrt. Aber wie er die Ester-Geschichte erzählt, gefällt mir. Oft werden nun Bibelgeschichten angeführt, um zu veranschaulichen, wie sich bestimmte biblische Gestalten in bestimmten Gesprächssituationen verhalten haben. Das ist zwar am Rande interessant, und mir persönlich bedeuten diese biblischen Gestalten auch sehr viel, aber dies scheint mir nun ein wenig abgekoppelt vom Ratgeberteil zu sein - man kann hier nur wissend nicken und sagen, je, guck, die hatten damals auch schon die gleichen Probleme. Für einen "Kompass" ist mir das aber ein bisschen zu wenig.
Im Praxisteil gibt es ziemlich viele Beispiele dafür, dass man die eigenen Reaktionen auf ein Fehlverhalten Anderer kontrollieren sollte. Finde ich total gut und richtig, aber vom "Theologischen Kompass" hätte ich mir spätestens an dieser Stelle eine dicke Motivation und Anleitung erhofft, wie man das seelisch fertigbringen soll. Über diese generelle Blässe täuschen auch coole Sätze wie "Auf geht's in die faszinierende Welt der Bibel" nicht hinweg.

Sehr gut finde ich im praktischen Ratgeberteil hingegen die Ideen zum Kontrollieren von heftigen Gefühlen. Auch die die systematische Auflistung zu vermeidender, weil herabsetzender Reaktionen ist hilfreich. Gut finde ich auch, dass unter der Überschrift "Die Kunst, überzeugend zu argumentieren" keine einfache Mottenkiste von Tipps und Histörchen folgt, sondern die differenzierende Zielvorgabe diskutiert wird: "Wie kann man überzeugend argumentieren, ohne den Anderen zu 'besiegen'?" Auch die Vorstellung des Modells "Statusspiele" hat mir sehr gut gefallen. Hier macht sogar die Verwendung der "Ich bin im Recht"/ etc.-Klischees Sinn. Und hier überzeugt auch der "Theologische Kompass" wieder.

Insgesamt findet man eine Fülle von wertvollen Hinweisen in dem Buch, wie die eigene Kommunikation verbessert werden kann. Ich frage mich allerdings, ob man bestimmte Kommunikationsprobleme überhaupt so verschult lösen kann, wie es hier vorgeschlagen wird. Ich selber neige heute eher zum absoluten Weg - Gebet und Inspiration - denn viele der angeführten Handlungsschritte ergeben sich intuitiv, wenn man sich an eine höhere Instanz wendet; so habe ich das jedenfalls erlebt. Dennoch kann dieses 5-Schritte-Modell für viele Menschen ein guter Leitfaden sein. Und hat auch mir durch die Bewusstmachung der einzelnen Gesprächsphasen einige Denkanstöße gegeben.

Persönliches Fazit: Die Einteilung in Phasen ist für mich als impulsiv denkenden Menschen äußerst schwierig nachzuvollziehen. Aber das Buch hat auf jeden Fall einiges ausgelöst und war somit eine lohnende Lektüre. Mitten in schwierigen Gesprächen wurde einem plötzlich bewusst, dass die eigene Art der Kommunikation durchaus verbesserungswürdig war.

Ich persönlich würde empfehlen, den "Theologischen Kompass mit Weitblick" direkt parallel zum Praxisteil zu lesen. Die Kapitel im Anhang sind so kurz gehalten, dass man sich dabei nicht verzettelt.