Rezension

Berlin Feuerland - Gefühlte Geschichte, authentisch und sensibel.

Berlin Feuerland - Titus Müller

Berlin Feuerland
von Titus Müller

Bewertet mit 5 Sternen

Grenzgänger

Der junge Hannes Böhm lebte in Feuerland, dem Berliner Industrieviertel, in dem die Hoffnung auf Demokratie, Wohlstand, sichere Arbeit und Bildung seit Generationen weiter gegeben wurde und nie Erfüllung fand. Jeder versuchte sich mehr schlecht als recht durchzuschlagen und der Nährboden für Unzufriedenheit und Aufbegehren konnte nicht besser gedeihen als unter den dort herrschenden Gegebenheiten. Die Unruhen der Aufstände in Spanien, Frankreich und Österreich griffen auch auf deutsche Gebiete über und erreichten im Jahr 1848 das preußische Berlin, erreichten die Einwohner Feuerlands und brachten sie auf die Barrikaden.

Hannes Böhm, der sich ehrgeizig und erfinderisch eine Einnahmequelle erschlossen hatte, indem er wohlhabende Bürger der Oberschicht durch die düstere, elendige Welt Feuerlands führte, war bisher zufrieden mit seinem Los, das schmalen Gewinn abwarf und die staunenden Betrachter sogar dazu brachte, hier und dort Almosen für die Ärmsten abzugeben. Wie gerne gibt man doch, wenn man nicht teilhaben muss an solchem Leben und sich mit wohligem Schaudern nachher wieder abwenden kann.

Für Alice Gauer allerdings, die Tochter des Stadtschloss-Kastellans, die sich auch unter die neugierigen Beobachter gereiht hatte, war die Begegnung mit Feuerland von weitaus tieferer Bedeutung. Zwischen ihr und Hannes entwickelte sich eine zarte, empfindsame Bindung, ein tastendes Erfühlen gegenseitiger Zuneigung und die leise Ahnung einer schicksalhaften Verbundenheit. Ihre Welten konnten verschiedener nicht sein, ihre Herzen aber spürten nur einen neuen, wunderbaren Gleichklang, der für Widersprüchliches kaum Raum ließ. Sie hofften auf einen Weg, den man gemeinsam gehen konnte.

Als Hannes jedoch in den aufflammenden Kämpfen der März-Unruhen eine Position bezog, die ihm sein Gewissen diktierte, wurde die Grenze zwischen Feuerland und dem Berlin der herrschenden Klasse so brutal aufgerissen, dass der Liebe schwerlich eine Chance blieb.

Titus Müller hat einen wunderbaren Roman geschrieben, gleichzeitig authentisches Zeitporträt und feinfühlige Liebesgeschichte. Die Berliner Märzunruhen 1848, in denen der Konflikt zwischen dem preußischen König und den revoltierenden Aufständischen zum Ausbruch kommt, deren immer wieder enttäuschtes Verlangen nach Pressefreiheit, Mitbestimmung und Versammlungsrecht lautstark Beachtung fordert, sind der bedeutsame geschichtliche Hintergrund seines Werkes. In erzählerischer Bestform verbindet er authentische Personen wie den General Ernst von Pfuel oder Julius von Minutoli in ihrer Rolle als Verfechter der Mäßigung mit frei erfundenen Protagonisten, die einem Stück niedergeschriebener Geschichte Leben und Aktualität verleihen. Der Geist Alexander von Humboldts und die Gedanken eines Heinrich von Kleist enden nicht an der Grenze zum Feuerland. Sie sind Sinnbild der Freiheit und der Mensch ist es, der sie trägt – immer und überall hin.

Ein wunderbares Leseerlebnis, dem ich alle Sterne geben möchte.

Kommentare

hobble kommentierte am 04. Mai 2016 um 06:04

Die Kommentare sind aber sehr positiv