Rezension

Berliner Nächte sind lang

Schwarzpulver - Laura Lichtblau

Schwarzpulver
von Laura Lichtblau

Bewertet mit 3 Sternen

Eine meiner literarischen Lieblingsreihen der letzten Jahre war „Die Bestimmung“. Ich mochte diese dystopische Welt, die aufzeigte, dass Menschen nur temporär in Schubladen passen und altruistische Personen trotzdem Kämpfer für die gute Sache mit Intelligenz und Geschick sein können. Ähnliches verkörpert auch Katniss Everdeen in „Die Tribute von Panem“ und bringt zusätzlich noch eine Spur innerer Zerrissenheit mit hinein, verständlich bei der Welt, in der sie gezwungen zu leben ist. Beide dystopischen Welten sind allerdings so weit weg von unserer Gegenwart, dass es leicht ist, sich trotz der leichten Gänsehaut hinein fallen zu lassen in das Gedankenexperiment „Was wäre, wenn…?“ und sich dabei dennoch bestens unterhalten zu fühlen.

Laura Lichtblaus Debüt wird ebenfalls als Dystopie im Klappentext klassifiziert. Doch ihre Welt in der Zukunft ist nicht undenkbar weit weg, sondern liegt im Rahmen der zeitlich nahen Möglichkeit. Ein Staat, der sich abwendet von der Freiheit und der Demokratie. Eine Partei an der Macht, die rückwärtsgewandte Bürger als Scharfschützen auf die Dächer seiner Hochhäuser positioniert zum Schutz gegen alles Fremde und Andersartige. Homosexualität, Transgender, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit – all diese mühsam errungenen Werte liegen am Boden und werden mit Füßen getreten. Dabei wirkt Berlin als literarischer Schauplatz fast wie Berlin, wenn auch wesentlich provinzieller als in der Wirklichkeit. Selten hatte ich so stark das Gefühl, dass der Dialekt nicht zur Gegend passt wie in diesem Buch. Es wirkt auf mich, als ob das traditionelle Bayern der Hauptstadt sein piffiges, angestaubtes Hinterwäldertum übergestülpt hätte, kombiniert mit nationalistischem unreflektiertem Gedankentum. Dabei ist Laura Lichtblaus Erzählsprache voller poetischer Bilder, die einen unvermittelt treffen und sich an der fiktiven Wirklichkeit reiben, brechen und sich neu zusammensetzen. Ähnlich wie ihre Figuren, die scheinbar angepasst leben, sogar mitgestalten und doch unter dem menschenfeindlichen System leiden und versuchen auszubrechen. Auch die Autorin findet Ebenen, um die Dystopie zu brechen und Widerstand zu leisten. So spielt sich das Geschehen in der großen Stadt vor allem am Anita-Augspurg-Platz ab, den Berlin in unserer Zeit nicht kennt, und der benannt ist nach einer der führenden feministischen Stimmen des letzten Jahrhunderts. Anita Augspurg, 1857 geboren, war Pazifistin und Aktivistin der bürgerlich-radikalen Frauenbewegung, setzte sich für das Frauenstimmrecht ein und studierte in der Schweiz Jura als in Deutschland die Hochschulen den Frauen noch verschlossen waren. Eine Stimme aus der Vergangenheit in der Zukunft, die mir als Leser ein wenig Hoffnung gibt, dass sich das Blatt vielleicht noch einmal zum Positiven wenden lässt.   

Schwarzpulver ist ein Roman für sonnige Tage, denn es braucht die ganze Kraft der bejahenden Sonnenstrahlen, um aus dieser schwarz gemalten Zukunft nicht mit Erfrierungen zurück in die Gegenwart zu kehren. Das Herz wird kalt in diesen Berliner Rauhnächten, weil diese dystopische Fiktion nicht so weit weg ist von dem, was bereits heute durch unsere Gesellschaft geistert und die Köpfe der Menschen verwirrt, so dass diese Parteien gründen und Parteien wählen, die für eine Richtung einstehen, die dem Land einst seine finsterste Zeit beschert hat und deren Pfad kein halbwegs kluger Mensch jemals würde wieder beschreiten wollen.