Rezension

Berührend

Die vier Winde -

Die vier Winde
von Kristin Hannah

Bewertet mit 4 Sternen

Elsa ist eine kränkliche junge Frau, die kaum das elterliche Haus verlässt. Ihr Leben scheint vorherbestimmt, als unverheiratet Tochter des Hauses fällt ihr irgendwann die Haushaltsführung und Pflege ihrer Eltern zu. Einziger Lichtblick in ihrem Alltag sind die Bücher, in die sie sich flüchtet. Als sie eines Tages einen jungen Italiener kennenlernt beginnt sie sich zu verändern, wird mutiger, traut sich zu leben, doch dieses kurze aufblitzen von Mut hat Konsequenzen, die ihr ganzes Leben verändern.

Schon bei "Liebe und Verderben" konnte ich mich vom einzigartigen Erzähltalent der Autorin überzeugen. Ihre Kraft beim Lesen Bilder zu erzeugen ist enorm, man kann quasi die Hitze auf der Haut spüren, hat das Gefühl den heißen Staub einzuatmen, mit den Fingern durch die Ähren auf den kilometerlangen Feldern zu streifen. Ihre Figuren sind stark, ohne sich dieser Stärke bewusst zu sein, Menschen, die von den äußeren Umständen gezwungen werden über sich hinauszuwachsen. 

Der Haupteil der Geschichte umfasst den Zeitraum von 1921 bis 1936. Harte Jahre für die Getreidebauern in Texas, genauso wie für viele andere Amerikaner, eine schwere Dürre bedroht die Ernten, Sandstürme zermürben die Menschen, es herrscht Rezession und viele verlieren ihr Hab und Gut und sogar ihre Heimat. Die Autorin beschreibt diese Zeit sehr authentisch, verbindet geschickt ihre fiktionalen Figuren mit tatsächlichen geschichtlichen Ereignissen, ihre Recherchearbeit ist dem Roman anzumerken. Ihre Geschichte steht stellvertretend für so viele Familien, die damals erleben mussten, was es bedeutet alles zu verlieren, ums Überleben zu kämpfen, Hoffnung zu suchen und nur auf Hass und Ablehnung zu stoßen. 

In meinen Augen besitzt das Buch nicht nur einen historischen Hintergrund, sondern ist mit dem Grundtenor der Geschichte auch unglaublich gegenwahrtsbezogen. Der aufmerksame Leser kann durchaus Parallelen ziehen zum aktuellen Umgang mit Flüchtlingen, den Vorurteilen und Ängsten, die ihnen oft begegnen. Auch der Punkt extremer Wetterlagen und die Folgen von jahrzehntelanger Monokultur sind heute bedeutsam. 

Die Autorin schafft eine atmosphärisch dichte Familiengeschichte, stellenweise eine Art Roadmovie, aus der Sicht von Elsa's Tochter eine Coming of Age Geschichte, eine Geschichte in der die Liebe einer Mutter zu ihren Kindern eindringlich thematisiert wird. Die verschiedenen Standpunkte der Generationen werden deutlich, in dem sich Mutter und Tochter abwechseln in der Erzählerrolle. Die Mutter erscheint hier als Mahnerin, als Bewahrerin, als Beschützerin von Traditionen und Werten, während die Jugend die Rolle der Rebellion übernimmt. Dadurch entstehen Konflikte und Reibungspunkte. Im Mittelteil des Buches hat die Autorin mich kurzzeitig etwas verloren, weil sie nach meinem Empfinden auf der Stelle getreten ist, Elsa's Selbstzweifel und Lethargie wurde etwas überreizt, mit vielen emotionalen Momenten konnte sie mich dann aber wieder in die Geschichte zurück holen.