Rezension

Berührend

Findelmädchen -

Findelmädchen
von Lilly Bernstein

Bewertet mit 5 Sternen

„Findelmädchen“ von Lilly Bernstein ist ein berührender und herzzerreißender Roman über das Leben im Nachkriegsdeutschland, zwischen Wiederaufbau und Wirtschaftswunder, zwischen Kriegsschrecken und neuer Hoffnung. Ich finde vor allem den Titel sehr eingängig und passend und auch das Cover ist sehr treffend gewählt, auch wenn ich normalerweise keine Menschen auf Buchcovern mag. Die ganze Aufmachung des Buches wirkt sehr rund und stimmig. Und das Buch selbst ist einfach fantastisch geschrieben und lässt einen nicht los.

 

Zum Inhalt: Helge und ihr Bruder Jürgen haben in den Ruinen des zerbombten Kölns gelebt, bevor ein Ehepaar aus Frankreich, dass seinen Sohn suchte, sich den beiden annahm. 10 Jahre nach Kriegsende plötzlich der Brief aus Deutschland: der Vater der beiden ist aus der russischen Kriegsgefangenschaft entlassen worden, die Kinder können heimkehren. Doch was erwartet sie in Deutschland, in den Trümmern ihres ehemaligen Lebens? Helga wünscht sich nichts mehr als das Gymnasium besuchen zu dürfen, wird aber in die Bräuteschule geschickt. Trotzdem ist ihr Leben erfüllt von neuen Freunden und einer ersten Liebe. Aber die scheinbar heile Welt droht zu zerbrechen, als Helga sich gegen die Zustände im Waisenhaus wendet, in dem sie ihr Praktikum macht. Und auch von Helgas Mutter fehlt weiterhin jede Spur. Werden Helga und Jürgen je erfahren, was damals geschah?

 

Das Buch beginnt in Frankreich, wo die Kinder von einem sympathischen Ehepaar aufgenommen worden, die sich um sie kümmern, als wären sie tatsächlich mit den Kindern verwandt. Umso harscher erscheint plötzlich das wahre Leben der Kinder in Deutschland und die ganze Zeit habe ich mich gefragt, wie die Geschichte wohl verlaufen wäre, wenn sie nicht nach Deutschland zurückgekehrt wären. Da die Kinder keine Erinnerung an die Zeit des Krieges haben, schwebt die Ungewissheit über den Verbleib der Mutter über der gesamten Geschichte und wird stilistisch durch Tagebucheinträge aus der Nachkriegszeit untermauert, die die Lebensumstände der Kinder im Bunker schildern. So erfährt man nach und nach was während der Besatzungszeit geschehen ist, am Ende wird auch das Geheimnis um die Mutter gelüftet.

 

Die Geschichte ist sehr anschaulich geschrieben, sie erfasst gut die Lebensumstände in Köln und schmückt die Geschichte mit Kultobjekten wie Milchbars, Petticoats, Kofferradios und James Dean aus, sodass ein authentisches Feeling für die damalige Zeit entsteht. Ich fand es wirklich spannend der Geschichte zu folgen, so interessant war das Schicksal von Jürgen und Helga und so mysteriös der Verbleib der Mutter und das Schweigen der Tante darüber. Die Geschichte ist wirklich fesselnd erzählt und lässt den Leser nicht wieder los.

 

Besonders eindringlich bleiben mir die Episoden aus dem Waisenhaus in Erinnerung, wo es kalt und grausam zuging, die Kinder schikaniert wurden und die Diskriminierung des farbigen Besatzerkindes an der Tagesordnung war. Ein unglaublich berührendes Buch, von dem ich froh bin, es gelesen zu haben. Klare Leseempfehlung.