Rezension

Berührend

Unzertrennlich -

Unzertrennlich
von Irvin D. Yalom

Bewertet mit 5 Sternen

Als Leser beschäftigt man sich unweigerlich mit dem Thema Vergänglichkeit und Erinnerungen

'Unzertrennlich' ist eine Zufallsmitnahme im Buchhandel. Mich reizte die Authentizität der Lebensgeschichte, die Thematiken – Beziehung, Liebe, Tod, Trauer, Alter, Vergänglichkeit. 'Es geht darin um die Liebe und das Loslassen, um das Trauern und das Weiterleben, um das Altern und um das, was von uns bleibt, wenn wir nicht mehr sind' schreibt die Übersetzerin Kammerer in ihrem Nachwort. Die Yaloms sind ein intellektuelles Liebes-/Ehepaar (Belesene, er Psychoanalytiker, sie Literaturwissenschaftlerin, lebenslang Schreibkollegen und gegenseitige Kritiker) und erinnern nicht von ungefähr an Beauvoir und Satre. Die Yaloms besitzen 3000,4000 Bücher (56), was Irv als 'Problem' bezeichnet. 'Unsere Beziehung begann und endete mit Büchern' (9). Zunächst habe ich all die vielen, farbigen Fotos betrachtet, die bereits im Einband berühren. Ein schönes Haus, ein reizvoller Garten, eine Ruheoase, die Protagonisten Irv und Marylin, 65 Jahre verheiratet, als der Tod sie 2019 trennt 'das Schicksal war noch nicht fertig mit uns' (17), sich liebend umarmend, sich haltende Hände ('Es gibt kein größeres Vergnügen für mich als Händchen haltend mit Marylin' (176). Das Cover, eine Zeichnung des Fotos auf dem Umschlag, ist simple und gut gelungen. Ein schönes, wahres Eingangszitat: 'Trauer ist der Preis, den wir zahlen, wenn wir den Mut haben, andere zu lieben'. Nach Marylins Tod ist Irv 'wie betäubt von der Zerbrechlichkeit seines Daseins' (19). Doch das (zunächst gemeinsame) Schreibprojekt hält ihn am Leben, Schreiben befreit, Schreiben (und Lesen) therapiert. Sie schreiben ein Buch, Irv ist 88, Marylin 87 in einem – Zitat – 'Alter, in dem andere schon tot sind'. In ihrer Erinnerung lassen sie verstorbene Freunde und Bekannte vorüberziehen, 'das Bewusstsein der Vergänglichkeit'. Yalom formuliert gekonnt 'Meine vergangene Welt existiert nur in den pulsierenden Neuronen meines Gehirns' (42 f). Irv googelt frühere Freunde, mit denen er gern wieder Kontakt aufnehmen würde, doch es ist zu spät, sie sind verstorben (Man bereut immer nur das, was man nicht tat). Natürlich ist dieses Buch auch traurig, auch für einen selbst, der/die in Erinnerungen schwelgt, aber mindestens genauso schön. Witzig sind Irvs Bezeichnungen für seine Kinder, so spricht er von 'unserem Psychologen-Sohn' und von 'unserem Fotografen-Sohn', eine Stelle, an der ich laut lachen musste. Der Abschied von seiner Arbeit als Therapeut, aus Altersgründen, fällt Irv schwer. Der Abschied von der Geschichten des Lebens, die er, autoren-typisch, auch in seinen Büchern verwendete. Marylin schreibt über Irv 'Psychiater zu sein war ein integraler Bestandteil Irvs Persönlichkeit' (70).

Für mich ist es ein tolles Buch, genau meins, hinsichtlich Inhalt, Sprachstil, involvierte Fachbereiche wie Philosophie und Psychologie, sprachlich, so zitiert Irv auch Milan Kundera: 'Was am Tod am erschreckendsten sei, sei nicht der Verlust der Zukunft, sondern der Verlust der Vergangenheit'(85). Einziger Kritikpunkt möge vielleicht sein, dass I. Yalom die Marken der teuren Autos in der Garage auf S. 270 nicht hätte erwähnen müssen, wirkt tendenziell materialistisch, oberflächlich und ist nicht notwendig für das Verständnis der Botschaft.

Irv wird am 13. Juni 2023 92 Jahre alt. Er lebt. Er schreibt und hält sogar Therapie-Stunden bei YouTube.