Rezension

Berührend aber wunderschön

Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims - Annabel Pitcher

Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims
von Annabel Pitcher

"..., aber Rose' Zimmer durfte ich nicht haben, weil sie tot ist und ihre Sachen heilig sind. Das kriege ich immer wieder zu hören, wenn ich danach frage. Rose' Zimmer ist heilig, James. Du darfst da nicht reingehen, James. Es ist heilig. Ich verstehe nicht, was an einem Haufen alter Puppen, einer müffelnden Decke und einem abgegrapschten Teddybär so heilig sein soll. Ich fand nichts heilig, als ich einmal nach der Schule auf Rose' Bett rumgehopst bin. Jas hat dann gesagt, ich soll aufhören, aber sie hat mich nicht verpetzt."
(S.9)

James Familie ist zerrissen. Zerissen nach dem tragischem Tod seiner Schwester Rose. Seine Eltern kommen nicht mit dem Tod klar, jeder trauert auf seine Weise und es kam zu Streit und Entfremdung. James ist 10 und zieht mit seinem Vater und seiner älteren Schwester Jasmine "Jas" weg aus London. Jas ist Rose Zwillingsschwester und die Eltern sahen in ihr immer ihre Schwester, bis Jas anfing sich die Haare zu färben und schwarz zu kleiden und gar nicht mehr wie Rose auszusehen. Das haben die Eltern nicht verkraftet. Der Vater trinkt nur noch, seinen neuen Job nimmt er nicht wahr. Die Mutter ist mit einem neuen Mann aus der Trauergruppe zusammengezogen und vergisst ihre alter Familie - was James einfach nicht wahrhaben will. Immer wieder hofft er auf Nachrichten seiner Mutter, Geschenke zum Geburtstag - und wird er bitter enttäuscht, so hegt er doch immer wieder Hoffnung aufgrund kleiner und gewünschter Anzeichen. Schließlich wartet er Monatelang täglich das Spider-men-T-Shirt tragend, dass mit der Post von seiner Ma kam darauf, dass sie ihn darin sehen wird... doch wie so vieles zuvor sind die Versprechungen eine Lüge...
In der neuen Schule lernt James dann ein Mädchen kennen. Sunya ist Muslime.. und wegen dem Tod seiner Schwester sollte er sich eigentlich von ihr Fernhalten ! Doch zwischen den beiden entwickelt sich eine Freundschaft und James lernt dass er einiges selber in die Hand nehmen muss damit alles besser wird...

Eine Geschichte die unglaublich nah geht und einen tief ergreift. Nicht nur aufgrund des Themas der Trauer um eine Tochter und eine Schwester. Ein kleiner Junge der noch zu jung war um alles zu verstehen und die Menschen ihm nicht abnehmen, dass er nicht trauert. Wie auch, wenn er sich nicht erinnern kann ? Und wie auch, wenn er alles nicht versteht. Er versteht nicht warum seine Familie daran zerbricht und warum Rose Sachen alle HEILIG sind...
Gleichzeitig macht einen das Buch wütend. Man möchte am liebsten die Eltern schütteln und anschreien, dass sie sich um ihre verbliebenen Kinder kümmern sollen. Stattdessen nichts als Lügen, Vorspielerei und Missachtung. Das ein oder andere Mal möchte man gerne den jungen in den Arm nehmen und trösten. Er ist einsam... wenigstens halten die Kinder zusammen.
Wütend auch über soviel Vorurteile anderen Menschen gegenüber. Typisch werden alle wenn was passiert ist über einen Kamm geschert. James soll sich fernhalten von Sunya. Die freundshaft wird erst verheimlicht und dann wirds umso unfassbarer und trauriger, doch auch traurig schöne Momente. Es ist gleichzeitig ein Buch über Gesellschaftskritik.

Die ganze Geschichte wird aus James Sicht erzählt. Der Sprachstil ist dem des 10-jährigen Jungen angepasst, was hervorragend passt und dadurch noch besser in die Geschichte hineinversetzen lässt. In James hineinversetzen. Die Geschichte aus den Augen und Gefühlseinstellungen eines 10-jährigen Kindes erleben. Man fühlt denkt und erlebt, was der Junge erlebt. Fast schon kindlich wird der Leser selber und verarbeitet James Leiden und Gefühle mit. Seine Gedankengänge zu Rose Tod, die Heiligen Sachen, die für ihn nicht heilig sind, seine Familie, seine Hoffnung und Wünsche.
Das alles fühlt man ganz deutlich und lässt einem auch nach der letzten Seite so schnell nicht mehr los.

Ein wunderschönes und zugleich bittersüß trauriges Buch, dass man einem einfach ans Herz legen kann, wenn man in der Stimmung ist, etwas tiefsinniges und bewegendes zu lesen.
Aber absolut empfehlenswert, ein weiteres Buchhighlight für mich in diesem Jahr !