Rezension

Berührend ehrlich

Das Mädchen mit der lauternen Stimme -

Das Mädchen mit der lauternen Stimme
von Abi Daré

Es geht um ein Mädchen, das für seine Rechte kämpft.

“Das Mädchen mit der lauternen Stimme” ist ein Roman von Abi Dare und wurde 2021 durch den Eichborn-Verlag im Deutschen veröffentlicht. Dabei handelt es sich um die Geschichte eines Mädchens, das sich in einer patriarchalen Gesellschaft Gehör verschaffen will, welche Frauen aktiv versucht zu unterdrücken.

Wir verfolgen Adunni, welche in dem kleinen nigerianischen Dorf Ikati zur Welt gekommen ist und seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr zur Schule gehen darf.
Seit dem ist sie der patriarchalen und konservativen Diktatur ihres Umfelds schutzlos unterworfen - sei es durch ihre Zwangsehe, der gesellschaftliche Druck Kinder zu bekommen oder die Nötigung zu Sex. Dabei sehnt sie sich verzweifelt danach, die Schule besuchen zu dürfen und sich selbst durch Bildung Gehör zu verschaffen.
Dabei kommt Adunni auf ihrem Weg mit unterschiedlichen Lebensrealitäten in Kontakt - vom kleinen Dorf verliert sich Adunni in die Welt der nigerianischen superreichen Frauen und hinterfragt langsam ihre eigene Perspektive.

Der Wert von Frauen innerhalb der nigerianischen Gesellschaft wird schnell deutlich: Schon bei Heiratszeremonien werden Frauen auf ihre „Nützlichkeit“ und „Gebärfähigkeit“ reduziert, während sie meistens den Haushalt allein und ohne Hilfe des Ehemannes finanzieren und leiten müssen. Dabei sind Frauen auch selbst schuld, wenn sie keine Kinder gebären können - die Impotenz und die Unfähigkeit von Männern wird nicht als Möglichkeit betrachtet.

Adunni selbst ist absolut liebenswert: Sie ist hoffnungsvoll und respektvoll, während sie immer auf die Personen um sich herum achtet. Außerdem fällt ihr schwer den Mund zu halten und nicht ständig neue Fragen zu stellen, auf deren Antwort sie ausdauernd pocht. Dabei zeigt sich Adunni entsprechend ihres Bildungsstandes oft Naiv und versteht hin und wieder nicht welche Bedeutung sie haben.
Zielgerichtet versucht sie sich ihren Traum von Bildung zu erfüllen und wird mit dabei mit Gewalt, Vorurteilen und Boshaftigkeit, aber auch mit Liebe, Verständnis und Hilfsbereitschaft konfrontiert.
Sie wird durch die Hoffnung motiviert ihre Bildung ihre tote Mutter stolz zu machen.

Die Handlung selbst hat mich in ein Wechselbad der Gefühle gestoßen: Hin und wieder hätte ich am liebsten das Buch weggelegt, während ich an anderen Stellen das Buch gar nicht aus der Hand legen konnte und mich für Adunni freuen musste oder mit ihr mitleidete.
Das lag daran, dass Dare sich nicht davor gescheut hat Situationen und Handlungen in all ihrer Brutalität, Gewalt und Konsequenzialität zu beschreiben: Es wurde kein Halt davor gemacht gesellschaftliche Kritik, verschissene Abstellkammern, aber auch Vergewaltigungen darzustellen, wobei das immer durch die naive Brille Adunnis geschieht.
Welche Bedeutung die Handlung für Adunni und ihr Leben, aber auch auf ihr Selbstbild, hat wurde klar gezeigt: Sei es die Bedeutung ihrer Zwangsehe, aber auch ihre spätere Arbeit und Bildungsversuche haben sie klar geprägt, ohne dabei gewertet zu werden.
Die Handlung selbst wirkte dabei immer Glaubwürdig, obwohl ich mir gewünscht hätte, dass Adunnis Höhepunkt mehr Raum bekommen hätte, statt nur ein Seite dafür zu verwenden.

Der Schreibstil der Autorin war genial und zeigte, wie aufmerksam und sensibel Dare beim Schreiben war. Das wurde besonders an zwei Aspekten deutlich: Zum einen wurde Adunnis Naivität und Unwissen authentisch in die Geschichte eingewoben, ohne joval zu wirken und zum anderen hat sie ihren Schreibstil an Adunnis Englischkenntnissen angepasst - während am Anfang der Satzaufbau und die Verwendung der Zeitformen stark vereinfacht und holprig verwendet wurden, nahm ihre Komplexität mit Adunnis Erfahrungen zu.
Das war aber auch auf eine andere Weise symbolisch: Die Komplexität des Schreibstils nahm ab dem Zeitpunkt zu, ab dem Adunni begann ihre Stimme zu finden.
Außerdem war zu jedem Zeitpunkt klar, dass die Geschichte aus Adunnis Perspektive erzählt wurde: Beschreibungen wurden immer aus ihrer Sicht geschildert mit ihren Annahmen und Vorurteilen, weswegen es beim Leser lag, wie Erklärungen einzuordnen und zu bewerten waren. Das hat Adunnis Perspektive und Erfahrungen nochmals betont und führte zu sympathischen Vergleichen.

All diese Aspekte, von der Handlung bis hin zum Schreibstil, wirkten geschickt zusammen, um Adunnis Geschichte zu erzählen: Die Geschichte eines Mädchens, das gehört und ihren Wert zeigen will, während sie zu jeder Zeit bereit war alles zu tun, was dafür nötig ist.

Deswegen kann ich das Buch absolut jeder Person empfehlen, die Interesse an einer Character-Driven Geschichte hat und sich von einer starken Figur inspirieren lassen will.