Rezension

Berührend erzählter Roman mit wunderbaren Figuren

Vor uns das Leben - Amy Harmon

Vor uns das Leben
von Amy Harmon

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt

Er ist der Junge, der alles hat, der Junge, zu dem alle aufblicken, dessen Freund jeder sein will, der von allen umschwärmte Rugby-Superstar: Ambrose Young wird in seiner Heimatstadt gefeiert wie ein Held, auch dann noch, als er nach der High School die Stadt verlässt. Als er zurückkehrt, ist nichts mehr, wie es einmal war. Ambrose ist nicht mehr, wer er einmal war. Die Einzige, die es schafft, in dem Mann von heute den Jungen von damals zu sehen, ist Fern. Fern, die ihm vor Jahren ihr Herz geschenkt hat, ohne dass er es bemerkt hat. Der einzige Mensch, dem sie sich anvertraut hat und der immer an ihrer Seite ist, ist ihr Cousin Bailey. Bailey sitzt im Rollstuhl und weiß schon seit seiner frühesten Kindheit, dass er jung sterben wird. Jeder neue Tag ist wie ein Geschenk für ihn und genauso lebt er ihn auch.
Tragische Umstände führen die drei zusammen und ebnen den Weg für eine enge, bedingungslose Freundschaft - bis das Schicksal erneut mit aller Macht zuschlägt und ihre Welt ins Wanken bringt.

Meine Meinung

Ich habe noch nicht allzu viele Romane von Amy Harmon gelesen, aber es besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass sie sich langsam, aber sicher zu einer meiner Lieblingsautorinnen mausern wird. Der Inhalt von "Vor uns das Leben" hat mich von der ersten bis zur letzten Seite nicht losgelassen, weil es thematisch und stilistisch genau meins war und die Charaktere genau meinem Geschmack entsprachen.
Der Roman startet wie die typische Hässliches-Entlein-verliebt-sich-in-Märchenprinzen-Geschichte, denn Fern himmelt den Rugby-Star ihrer High School, Ambrose Young, aus der Ferne an, während er jedoch ein Auge auf ihre beste Freundin Rita geworfen hat. Weil Fern eine tolle Freundin ist, versucht sie dem potenziellen Liebesglück auf die Sprünge zu helfen, obwohl es ihr selbst das Herz bricht: Sie schreibt in Ritas Namen Briefe und kleine Notizen an Ambrose - Stoff für eine romantische Komödie also. Aber das ist "Vor uns das Leben" keineswegs. Im Gegenteil lastet auf der Geschichte eher eine gewisse Schwere, weil die Jugendlichen so viel durchmachen müssen. Das verleiht dem Roman so viel mehr Tiefgang. Ich will bzgl. der Handlung gar nicht so sehr in die Tiefe gehen, um niemandem zu viel zu verraten. Nur so viel: Als Leser hat man nicht nur eine einzige Tragödie zu verkraften. Ebenso wie die Protagonisten hat man selbst ziemlich viel zu verarbeiten und bekommt einiges zum Nachdenken. Wie im wahren Leben gibt es Höhen und Tiefen, die ich mal mehr, mal weniger intensiv miterlebt habe. Wenngleich viele der aufgegriffenen Themen eher negativ behaftet sind (z.B. Selbsthass, Gewalt, Verlust, Trauer, Schuldgefühle), werden sie letztlich auf eine Weise verarbeitet, durch die man mit einem positiven, hoffnungsvollen Gefühl das Buch zuklappt. Das liegt u.a. auch an den heiteren, nahezu komischen Momenten, die gelgentlich die Stimmung auflockern.
Wie ich oben schon erwähnt habe, fand ich die Charaktere einfach wundervoll. Harmon hat eine spezielle Art, Personen in die Geschichte einzuführen und sie auf ihrem Weg zu begleiten, sodass man die Figuren wirklich kennenlernt. Sie haucht ihnen Leben ein, indem sie sämtliche (oder zumindest einen Großteil ihrer) Facetten herausarbeitet und dem Leser Einblicke in deren Gedanken und Emotionen gewährt. Durch die drei wechselnden Erzähler (Fern, Ambrose und Bailey) hat man außerdem die Möglichkeit, die Protagonisten aus zwei Blickwinkeln zu betrachten. Zum einen erfährt man, wie sie sich selbst sehen, zum anderen, wie andere sie wahrnehmen. All das führt dazu, dass man sich ihnen sehr nahe fühlt, was unglaublich wichtig ist, damit man sich auf die Geschichte einlassen kann und Anteil nimmt.
Zum einen wäre da Fern, die zurückhaltende, unauffällige Tochter des Pastors. (Anmerkung: Wer befürchtet, dass der Roman geprägt ist von Bibelzitaten und Predigten, den kann ich beruhigen: Glaubensfragen werden zwar thematisiert, aber Harmon drängt niemandem ihre religiösen Ansichten auf und mit dem, was gesagt wird, gehe ich als Atheistin durchaus konform.) Sie ist unglaublich gütig, rücksichtsvoll, loyal und kann zur Furie werden, wenn es darum geht, ihre Freunde zu verteidigen. Einen solchen Menschen hat man gerne um sich. Ambrose wiederum entsprach meiner favorisierten Version einer männlichen Hauptfigur: der starke, schweigsame Typ. Gut, er zerfließt für eine Weile in Selbstmitleid und schottet sich ab, was ein bisschen anstrengend - aber angesichts der Umstände auch verständlich - war. Sobald er dann erstmal sein Schneckenhaus verlassen hat, gewinnt man ihn für seinen Beschützerinstinkt, seine Rücksichtnahme, sein großes Herz und für seinen Sinn für Literatur lieb. Und dannn wäre da natürlich noch Bailey. Bailey, der so erfrischend anders, so direkt und - trotz seines Handicaps - so beeindruckend unbekümmert und selbstbewusst ist. Von den dreien ist er wahrscheinlich der charakterstärkste, weil er sich von nichts und niemandem unterkriegen lässt. Er ist auf seine ganze eigene Weise mutig und genau das hat mir beim Lesen so imponiert. Zu sehen, wie sich das Duo Bailey und Fern einerseits und Ambrose andererseits einander annähern, würde ich fast schon als herzerwärmend beschreiben. Es ist einfach toll zu sehen, wie drei so unterschiedliche Charaktere einander ergänzen. Auch die Liebesgeschichte war toll und glaubhaft dargestellt, was das Gesamtbild abgerundet hat.

Mein Fazit

Bei "Vor uns das Leben" stimmt das Gesamtpaket: Die Figuren sind vielschichtig und greifbar und ihre jeweiligen Geschichten gehen einem nahe, sodass man sich mit ihnen freut und mit ihnen leidet. Noch dazu ist der Roman gefühlvoll und ansprechend geschrieben. Ich hatte nie das Gefühl, es gäbe überflüssige Längen in der Handlung. In meinen Augen ist es eine ausgesprochen gelungene schriftstellerische Leistung.

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