Rezension

Berührende Geschichte

Mit zwanzig hat man kein Kleid für eine Beerdigung - Valentina D'Urbano

Mit zwanzig hat man kein Kleid für eine Beerdigung
von Valentina D'Urbano

Bewertet mit 5 Sternen

==Inhalt==

 

 

 

Beatrice oder kurz Bea wächst in einer sehr armen Siedlung in Italien auf. Einwohner haben ihr den Namen La Fortezza gegeben, was so viel wie Festung heißt. Und genau das ist diese Gegend, eine Burg, die niemanden rein aber auch niemanden raus lässt.

 

Bea lebt mit ihrer Familie in einem Wohnhaus, das ursprünglich vermietet werden sollte, doch bevor es dazu kam, wurde es gewaltsam besetzt und immer droht die Gefahr, dass jemand in ihre Wohnung stürzen könnte, wenn niemand zu Hause ist und diese einnehmen könnte, so wie ihr Vater es einst getan hatte, nur dass da noch keine Menschen hier gewohnt hatten, die Sache ihrer Meinung nach also nicht ganz so schlimm war.

 

Weil immer jemand zu Hause sein muss, langweilt Bea sich oft zusammen mit ihrem Bruder, also laufen sie durchs Treppenhaus und klingeln überall, außer im fünften Stock, denn sie haben Angst vor den Bewohnern, sie kommen aus einer noch ärmeren Siedlung und immer hört man nachts die Schreie der Kinder und des betrunkenen Vaters, der auf sie einschlägt. Doch niemand unternimmt etwas, bis zu jenem schicksalhaften Tag, als der Vater seinen mittleren Sohn Alfredo halbtot prügelt und dieser aus der Wohnung fliehen kann. Beas Mutter nimmt ihn vorerst bei sich auf und fortan wird er immer wieder kommen, geht bei ihnen aus und ein.

 

Bea und Alfredo sind immer zusammen, sie verstehen einander zwar nicht wirklich und streiten ständig, doch sie sind so unzertrennlich, dass man sie die Zwillinge nennt. Als sie älter werden, ändern sich ihre Gefühle, sie lernen einander lieben, jedoch auf eine sehr ungewöhnliche Art. Ihre Liebe ist rau, irgendwie brutal und von Abhängigkeit, Besitzansprüchen und Verlustängsten geprägt.

 

Und was kann schon aus einem werden, wenn man so aufwächst? Schließlich kann man der Festung nicht entfliehen.

 

 

 

 

==Meine Meinung==

 

 

 

Ich habe versucht den Inhalt kurz zu halten und mit Absicht einige Dinge nicht in meine Inhaltsangabe mit einfließen lassen, auch wenn diese so ziemlich am Anfang des Buches stehen, auch auf das Ende will ich nicht weiter eingehen, auch wenn ich denke, dass nicht die Geschichte selber hier den Anreiz zum Lesen gibt, sondern mehr die Art, wie diese verpackt ist.

 

Die Autorin schreibt das Buch aus Beas Sicht in der Ich-Perspektive, wir bekommen so einen tiefen Einblick in die Protagonistin und sie erscheint uns einfach zu real.

Ich hatte sehr oft den Eindruck, dass dieses Buch einen autobiografischen Anklang hatte, da alles einfach zu echt erschien um reine Fiktion zu sein.

Dann sah ich auf den Buchrücken, las mir die Angaben zur Autorin durch und hatte meine Antwort. Nein, sie hatte diese Geschichte nicht selber erlebt, doch sie ist unter ähnlichen Umständen aufgewachsen, so konnte sie Teile ihrer Kindheit hier verarbeiten.

Sie haucht ihrer Hauptfigur somit mit ihren eigenen Erfahrungen Leben ein. Natürlich schreibt sie von einer Zeit, die sie selber nicht miterlebt hat, die daher anders gewesen ist, dennoch schafft sie ein so klares und deutliches Bild der Personen, Umstände und Umgebungen, das man sich darin verliert und alles gern mit eigenen Augen sehen möchte, so abstoßend einige Orte auch beschrieben werden.

Lustiger Weise kommt genau diese Situation auch im Buch vor. Bea erzählt auf einer Kirchenfreizeit einer Freundin aus besserem Hause von La Fortezza und diese möchte gern einmal dort hin, Bea versteht dies nicht, denn dort stinkt es, ist schmutzig und nicht sehr einladend.

 

Das Genre dieses Buches ist ganz eindeutig ein Drama. Dies wird uns schon früh bewusst. Wir erleben sehr harte und raue Seiten des Lebens, die Jugendlichen fangen früh an zu rauchen, zu trinken und sogar Joints zu rauchen. Wenige scheinen Arbeit zu haben und jeder kennt irgendjemanden, der schon einmal im Gefängnis gewesen ist.

 

Auch die Sprache ist oftmals sehr hart doch immer wieder verirrt sich ein kleiner poetischer Satz in die sonst raue Struktur, blüht dort förmlich auf.

Dieser Kontrast ist wirklich extrem gestaltet und am Anfang stolpert man gerade zu darüber. Jedoch ist man nicht irritiert, sondern wiederholt den Satz und genießt ihn.

Später gewöhnt man sich an den Stil, dennoch hinterlässt er nach dem Beenden des Buches einen unbeschreiblichen Zauber zurück.

Bis jetzt bin ich immer noch begeistert darüber und verwundert, wie die Autorin es geschafft hat soviel Schönheit in diese Härte zu legen. Und dabei liegt sie nicht immer in dem, was die Menschen sagen, oder Bea denkt, sondern in der Bedeutung der Worte selber.

 

Ich könnte das Buch gleich wieder von vorne anfangen, doch damit werde ich noch ein wenig warten. Es könnte tatsächlich zu meinen Lieblingsbüchern werden und das, obwohl ich es mir niemals gekauft hätte, da sich der Klappentext ein wenig wie ein Liebesroman anhört.

 

Die Liebesgeschichte zwischen Bea und Alfredo spielt eine große Rolle, doch ebenso groß sind die Themen Armut, Mangel an Chancen und das Erwachsenwerden.

 

Fangen wir mit der Liebe an. Bea und Alfredo bedeuten sich schon von Kindheit an sehr viel, auch wenn sie beide es nicht begreifen, denn eigentlich zanken sie nur und üben Machtkämpfe miteinander aus. Diese Art der Liebe ist sehr ungewöhnlich, denn es entsteht daraus keine Zärtlichkeit, sondern eher eine Abhängigkeit. Sie können ohne einander nicht mehr leben und zwar äußert sich dies nicht auf sehr romantische Art. Jeder will der Stärkere sein, dem anderen sagen, was er zu tun hat und diesen somit beherrschen. Man sollte meinen die beiden sind sich sehr ähnlich und in vielen Dingen stimmt das auch, doch ihre Entwicklung unterscheidet sich voneinander.

 

Immer wieder kommt der Gedanke auf, dass Bea die Stärkere ist und auf Alfredo aufpassen muss. Aber worauf lässt sich dies begründen? Mir kam der Gedanke des familiären Rückhalts. Beas Familie ist zwar arm, aber sie gehen liebevoll miteinander um, Alfredo jedoch flieht regelmäßig von zu Hause, weil sein Vater betrunken ist und ihn vermöbeln will. Für Liebe ist dort kein Platz, nur für den Kampf ums Überleben.

 

Womit wir schon bei den anderen beiden Themen wären, dem Erwachsenwerden und der Chancenlosigkeit.

Ein großes Thema ist die Armut und die Schwierigkeit aufgrund der Herkunft Arbeit zu bekommen, was wiederum in weitere Armut führt. Die Jugendlichen lungern herum, versuchen sich irgendwie die Zeit zu vertreiben, sehen keine großen Chancen und vertun ihr Leben, weil sie sich in einem Teufelskreis gefangen sehen. Oftmals führt dieses Herumlungern und das Fehlen von Bildung zu früher Schwangerschaft, wobei wir fest im Kreislauf gefangen wären.

Sehr deutlich wird hier auf solche Missstände hingewiesen, die uns tief berühren, auch wenn man sich angesichts dieser Beschreibungen irgendwie hilflos fühlt, so machen sie einen doch sehr nachdenklich.

 

Es ist schon beeindruckend, wie es Autoren schaffen so viel auf so wenige Seiten zu packen und einen damit nicht überladen, sondern fordern.

 

 

 

 

==Fazit==

 

 

 

Dies ist ein beeindruckendes Buch, dass einen einerseits bezaubert und anderseits zum Nachdenken anregt.

Ich habe diese Lektüre sehr genossen und werde dieses Buch in Zukunft mit Sicherheit noch mehrmals zur Hand nehmen.