Rezension

Berührende Geschichte

In jenem besagten Sommer - Elizabeth Musser

In jenem besagten Sommer
von Elizabeth Musser

Bewertet mit 5 Sternen

„...“Wir wohnen hier wie im Paradies“, hatte Momma gesagt. „jeden Tag dürfen wir dabei zusehen, wie Gott die Berge anmalt“...“

 

Das war gestern, als Paige mit ihrer Mutter, der Schriftstellerin Josephine Bourdillon, den Sonnenaufgang beobachtet hat. Und heute liegt Josephine nach einem Kopfschuss in der Klinik im Koma. Dass sie überhaupt noch lebt, hat sie einer unbewussten Bewegung zu verdanken. Wer aber hat das Attentat verübt?

Die Autorin hat nicht nur ein fesselndes Buch geschrieben. Die Geschichte geht in die Tiefe. Sie lotet die Psyche ihrer Protagonisten aus.

Dabei wird das Geschehen in drei Handlungsstränge aufgegliedert. In Gegensatz zu Polizei und Familie kenne ich nämlich von Anfang an den Schützen und sein Motiv. Das allerdings hilft mir nicht weiter, denn er handelt im Auftrag. Immer wieder erfahre ich, wie der Schütze mit dem Ergebnis umgeht. Er ist eine der interessantesten Personen der Geschichte. Das Besondere ist, dass er seinen Part selbst erzählt. Eine seiner Kindheitserinnerungen liest sich so.

 

„...Wenn Pa mich jemals mit einem Buch erwischt hätte, dann hätte er wohl das Gewehr geholt und mir mitten durch die Buchseiten in die Brust geschossen...“

 

Er leiht sich die Bücher von Josephine aus der Bibliothek und findet darin zum Teil sein Leben gespiegelt. Er beginnt, Fragen zu stellen, Fragen nach Frieden und Vergebung.

Im zweiten Handlungsstrang, der kursiv gesetzt ist, darf ich mit Josephine in ihre Erinnerungen eintauchen. Aufgewachsen in einem wohlhabenden Haushalt lernt sie schnell zu unterscheiden zwischen Sein und Schein. Terence, der schwarze Diener, erklärt ihr:

 

„...Miss Josy, Sie stellen aber Fragen. Diese feinen Leute betrinken sich doch nicht. Sie haben einen schönen Abend mit wenig Alkohol...“

 

Sie hat viel Empathie und möchte alles richtig machen. Sklaverei lehnt sie ab. Sie flüchtet in die Welt ihre Phantasie und schreibt schon in jungen Jahren erste Geschichten. Ihre ältere Schwester Kit dagegen ist sehr ichbezogen und nimmt mit, was sie bekommen kann.

Im dritten Handlungsstrang erfahre ich, wie die Familie mit der Erkrankung der Mutter umgeht und gemeinsam nach den möglichen Täter gesucht wird. Dabei wird immer wieder auf einen Sommer angespielt, der für die Familie eine besondere Bedeutung hat. Es gibt Vermutungen, dass das Attentat damit zusammenhängen könnte. Es dauert, bis das Geheimnis geklärt wird.

Seit jenem Sommer hat sich Paige, die Tochter, vom Glauben abgewendet. Das ändert allerdings nichts daran, dass sie entsprechende Werte in ihrem Leben verinnerlicht und sich einen Blick für die Nöte der anderen bewahrt hat.

Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen. Es bleibt viel Raum für Emotionen. Tiefgründige Gespräche erlauben einen Einblick in die Gedankenwelt der Protagonisten. Dabei spricht die Autorin Themen an, die sehr kontrovers sind. Ab welchen Moment wird der Glaube zur Heuchelei? Wie weit geht Gnade? Was macht Vergebung mit mir und mit dem anderen? Die Autorin wird sehr konkret. Es gibt keine theoretischen Abhandlungen. Die Fragen tauchen einfach im Kontext des Geschehens auf und werden so oder so beantwortet.

An vielen Stellen hat mich besonders Henrys Sicht auf die Dinge berührt, gerade weil er unvoreingenommen und, man könnte fast sagen, kindlich naiv, den Glauben betrachtet. Seine Eindrücke nach dem Lesen der Evangelien klingen so:

 

„...Wie ich mir schon gedacht hatte, gab sich dieser Jesus die ganze Zeit mit Sündern ab. Er aß mit ihnen und half ihnen und war selbst zu den Schlimmsten noch besonders gut - […] - eben denen, denen jeder aus dem Weg ging. Und zu den frommen Leuten war er überhaupt nicht nett. Und das machte sie ziemlich wütend...“

 

Ein weiteres großes Thema durchzieht das Buch, ohne dass es zu Anfang explizit eine Rolle spielt, der Umgang mit einer Depression. Auch hier gibt es keine Schwarz-Weiß-Malerei, sondern die Schilderung betreffender Lebensumstände.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Dazu haben nicht zuletzt die besonderen Protagonisten beigetragen, deren Wandlung der Handlung ein ganz eigenes Gepräge gibt.