Rezension

Berührender Roman über Verlust und die Liebe zu Büchern

Das tiefe Blau der Worte - Cath Crowley

Das tiefe Blau der Worte
von Cath Crowley

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt
Bis vor drei Jahren waren Rachel und Henry beste Freunde und verbrachten ihre Freizeit in der Buchhandlung von Henrys Familie. Als Rachel plötzlich wegzog, hinterließ sie Henry einen Liebesbrief in einem der Bücher der Buchhandlung, obwohl Henry zu diesem Zeitpunkt mit Amy zusammen war. Nun ist Rachel zurück und wenngleich sie Henry am liebsten aus dem Weg gehen würde, weil er nie auf ihren Brief reagiert hat, übernimmt sie einen Job in der Buchhandlung. Beide stecken sie in einer schwierigen Phase: Henry leckt seine Wunden, nachdem ihn Amy kürzlich verlassen hat, während Rachel um ihren kürzlich verstorbenen Bruder Cal trauert. Trost finden beide zwischen den Seiten der Bücher - und beieinander. Vielleicht haben sie nun die Chance auf einen Neuanfang.

Meinung
"Das tiefe Blau der Worte" ist eines dieser Bücher, bei dem der Titel nicht passender gewählt sein könnte, denn der Roman hat a) Tiefgang und b) rückt es das geschriebene Wort in den Vordergrund. C) kann man das "Blau" entweder symbolisch für die Melancholie der Protagonisten deuten oder als eine Referenz zum Meer, das eine ganz besondere Rolle in der Geschichte spielt: Rachels Bruder Cal ist vor zehn Monaten ertrunken und seitdem klafft ein riesiges Loch in ihrem Herzen. Damit ist von Anfang an klar, dass Crowleys Werk kein leichter Lesestoff ist.

Trotz der Schwermütigkeit des Plots hat sich der Roman ausgesprochen flott lesen lassen. Cath Crowley hat mir als Leserin die richtigen Portionen Ernsthaftigkeit und Humor geboten, sodass die Stimmung nicht durchweg bedrückend war. Darüber hinaus ist es leicht für mich gewesen, mich auf die Geschichte einzulassen, u. a. weil die Autorin universale Themen wie Verlust, Liebe und Freundschaft anspricht, mit denen jeder etwas anfangen kann. Sie nimmt sich sehr viel Zeit, um ihre zwei Hauptfiguren Rachel und Henry einzuführen und geht dabei mit viel Fingerspitzengefühl vor. Dadurch habe ich für sie, aber auch für deren Geschwister Cal und George ein wahnsinnig gutes Gespür bekommen. Vor allem konnte ich sehr gut nachvollziehen, wie sich Rachel gerade fühlt. Jeder, der schon einmal jemanden verloren hat, kennt wahrscheinlich diesen permanenten Wechsel zwischen innerer Leere, Wut, Hoffnungslosigkeit und nahezu körperlich spürbarem Schmerz, den sie durchlebt. Allein deswegen fiel es mir leicht, mich mit ihr zu identifizieren. Henry wiederum gefiel mir, weil er nicht so schnell aufgibt, sehr einfühlsam und auch mal sarkastisch sein kann, sodass auch seine Selbstmitleidstendenzen erträglich waren. Was ich an den beiden außerdem geschätzt habe, war dass sie sich bisweilen so erwachsen verhalten haben, dass ich ganz vergessen habe, wie jung sie eigentlich sind (eigentlich sind sie gerade erst mit der Highschool fertig).

Zwischen den Kapiteln, die abwechselnd aus Henrys und Rachels Sicht geschrieben sind, sind Auszüge aus Briefwechseln zwischen George (Henrys Schwester) und einem Unbekannten, der sich als Pytheas bezeichnet, wiedergegeben. Zum einen verleiht das dem Ganzen einen Touch von "Für immer vielleicht" und ähnlichen Romanen, zum anderen fügt deren Austausch dem Roman eine weitere Perspektive bzw. eine weitere Ebene hinzu. Die Vorgänge in ihrem Leben haben mich ebenso interessiert (vielleicht sogar manchmal etwas mehr) wie die von Henry und Rachel, sodass ich ihr ebenso die Daumen gedrückt habe.

Den Hauptfiguren ist im Prinzip gemein, dass sie sich alle, in einer mehr oder weniger schweren depressiven Phase befinden - ein wenig im Stile von High Fidelity - dabei aber weniger anstrengend sind als Robert Fleming. Außerdem wird man statt mit Liedreferenzen quasi mit Buchempfehlungen überschüttet - was definitiv ein Pluspunkt ist. Das verwundert angesichts des primären Handlungsortes (der Buchhandlung von Henrys Familie) auch nicht sonderlich. In die Idee der Briefbibliothek (Letter Library) habe ich mich sofort verliebt: Ein Antiquariat, in dem man Bücher mit Anmerkungen und Briefen anderer Leser findet, sich selbst bzw. seine Gedanken in seinen Lieblingsbüchern verewigen und somit ggf. auch mit anderen Lesern in Kontakt treten kann, klingt für mich (und wahrscheinlich jeden anderen Buchliebhaber) einfach grandios. Ich wäre dort wahrscheinlich Stammkundin. Leider kann man damit wohl auch nicht sonderlich viel Gewinn machen (wenn überhaupt).

Aufgrund der oben angesprochenen Themen lebt der Roman eher von Dialogen und Überlegungen zu Glaubens- und Seinsfragen. Er stimmt eher nachdenklich, was für mich zum Zeitpunkt des Lesens passend war. Wenn man aber gerade eher in der Stimmung für Action ist, sollte man lieber nicht dieses Buch wählen. Die Handlung an sich ist nämlich weniger ereignisgetrieben und erzeugt keine permanente Spannung. Wie gesagt: Solange man (wie ich) ohnehin gerade melancholisch gestimmt ist, wird man in diesem Buch ein paar Denkanstöße und Antworten und vielleicht sogar etwas Trost finden. Cath Crowley schafft es nämlich, dass man gleichermaßen traurig wie hoffnungsvoll aus dem Roman hervorgeht, und gibt dem Leser ein paar kluge Botschaften für jede Lebenslage mit auf den Weg. Ich für meinen Teil könnte gut ein Viertel des Buches mit Lesezeichen markieren und habe mich in der fiktiven Welt gut aufgehoben gefühlt.

Fazit
Cath Crowleys Roman ist eine ruhig, aber tiefgründig erzählte Geschichte über Freundschaft, Liebe, Familie und Verlust, die Verstand und Herz gleichermaßen anspricht. Am besten eignet sich die Geschichte für in sich gekehrte Stunden, da hier primär die Gedanken und Gefühle der Figuren beleuchtet werden. Bei mir hat die Autorin damit voll ins Schwarze getroffen, wenngleich ich mir gelgentlich einen ausdifferenzierteren Plot gewünscht hätte.

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