Rezension

Berührender und atmosphärischer Roman

Niemals ohne sie - Jocelyne Saucier

Niemals ohne sie
von Jocelyne Saucier

Eine recht interessante Familie, die Cardinals. 21 Kinder. Ist das vorstellbar? Sie sind viel sich selbst überlassen und müssen daher schon frühzeitig Verantwortung übernehmen. Die Mutter ist nämlich im Laufe der Zeit zunehmend verwirrter und überforderter geworden. Sie kocht und wird von den Kindern vor allem in der Nacht wahrgenommen, wenn sie von Bett zu Bett geht. Generell ist sie aber müde und erschöpft vom Alltag.
Der Vater ist "gesteinsverrückt" und "unsichtbar". Er hat vor allem seine Erze und Mineralien im Kopf. Gold allerdings interessiert ihn nicht so sehr, da Gold ihm "zu launisch" sei.
So übernimmt die älteste Tochter einen Teil der Kinderversorgung und irgendwann kommt es dazu, dass der 12 jährige Geronimo Familienoberhaupt wird. Geronimo, die "Ein-Mann-Befreiungs- und Unterdrückungsarmee". Sie bekriegen ihre letztverbliebenen Nachbarn in Norco, dem Ort, der langsam verfällt, seit die Erzmine geschlossen wurde.
Und eines Tages geschieht etwas, dass die Familie tief erschüttern soll und sie erst viele Jahre später alle wieder zusammen kommen und dem Geschehnis auf den Grund gehen.

Der Roman ist in 7 Abschnitte geteilt. Man erfährt der Perspektive von 6 Geschwistern. Toll!
Anfangs musste ich mich ein wenig einlesen, zwischendrin langweilte ich mich auch etwas und ich fragte mich, was ist denn das für eine Geschichte? Aber schon bald berührten mich die Geschehnisse, die Dinge nahmen Gestalt an und zogen mich in den Bann.
Die spezielle Familiendynamik in dieser speziellen Erzsucherumgebung fesselte mich sehr. "Ein Cardinal kann nicht einfach die Schönheit einer Palme im Sonnenuntergang geniessen, wir brauchen eine harsche Umgebung, an der wir uns reiben können und von der aus wir alle verfluchen können, die es im Leben leichter haben als wir" (S.139). Und inmitten dieser rauen und armen Familie: der eine Zwilling – Angele, die anders ist, die sich für schöne Kleidung und höhere Bildung interessiert und mit einem sonnigen Gemüt und einem wunderbaren Lächeln gesegnet ist.

Neben der Familiendynamik wird auch die Gesteinssuche sehr interessant und bildhaft geschildert.

Die Sprache finde ich sehr schön und schafft Atmosphäre. In jedem Abschnitt kommen die Gefühle des jeweiligen Geschwister gut zum Ausdruck und, Stück für Stück setzt sich die Wahrheit wie ein Puzzle zusammen, was an jenem verhängnisvollen Tag tatsächlich geschah. Die Spannung steigt somit kontinuierlich an.

Fazit: Ein atmosphärischer, berührender, wenngleich etwas eigener Roman für Leser, die gern verschiedene Perspektiven mögen und sich von einer vielköpfigen Familie nicht irritieren lassen.