Rezension

Berührendes Familien- und Generationenporträt

Fliehende Träume
von Roman Schafnitzel

Bewertet mit 4 Sternen

Zwei Familien werden hier im Blick auf mehrere Generationen porträtiert. Die Familie Riehm auf der deutschen Seite und die Familie Dehlinger auf der französischen Seite. Gleichzeitig begibt man sich auf einen Streifzug durch das politisch sehr ereignisreiche 20.Jahrhundert.

Im Mittelpunkt stehen dabei die Französin Manon und der Deutsche Wolfgang. Beide lernen sich durch eine Brieffreundschaft kennen und verlieben sich ineinander. Eine Ehe beginnt, mit all ihren möglichen Herausforderungen und verläuft doch anders, als die Verbindungen ihrer Eltern und Großeltern.

Aufgrund der Fülle an Familienmitgliedern muss man gut den Überblick wahren, ein Personenverzeichnis hilft dabei. Die Personen selbst werden eher etwas distanziert gezeichnet, was aber nicht daran hindert, ihnen nahe zu kommen, an ihren Schicksalen und Gedanken teilzuhaben und Sympathie zu entwickeln.

Der Alltag dieser Familien vor, während und nach dem Krieg wird sehr eindrücklich, lebendig und mit vielen interessanten Details geschildert. Ebenfalls die Orte, hier vor allem Lothringen und das Saarland, auch mit ihren spezifischen kulinarischen Genüssen, entstehen deutlich vor dem Auge.

Die Beziehung zwischen Manon und Wolfgang wirft einige Fragen und diskussionswürdige Punkte auf. Man kann sich einerseits gut mit ihren Ängsten, Wünschen und Hoffnungen identifizieren, wird aber auch eingeladen, ihre Gedanken und Entscheidungen auch kritisch zu betrachten und letztendlich angeregt, über sich selbst nachzudenken.

In ein oder zwei Situationen schien mir die Beziehung jedoch nicht ganz stimmig gezeichnet und die psychologische Nachvollziehbarkeit der Handlungen fiel mir etwas schwer. Letzteres war der nicht chronologischen Darstellung geschuldet.

Etwas schade fand ich das Ende, hier macht es der Autor den Figuren zu leicht, in dem er ihnen wichtige Entscheidungen abnimmt..:)

Der Schreibstil ist überaus anschaulich und kann wunderbar die verschiedenen Atmosphären transportieren, sodass viele der Szenen sehr berühren. Es liest sich sehr fesselnd und spannend.

Der Roman besticht zudem durch seine sehr erfrischende und originelle Form. Die sich im Fokus befindenden Familienmitglieder wechseln sich in episodenhaften Schilderungen stetig ab. Der Zeitablauf ist dabei nicht chronologisch dargestellt, sondern ebenfalls stetig wechselnd. Dazwischen finden sich regelmäßig Benennungen der politischen Geschehnisse des jeweiligen Jahres. Aufgrund dieser besonderen Form des Romans wird man immer wieder beim völligen Eintauchen etwas gestört, irritiert und damit gezwungen, innezuhalten und nachzudenken. Das gefiel mir sehr gut.

Fazit: Ein sehr anschauliches und nachhallendes Familien- und Generationenporträt des 20.Jhdts, angesiedelt in Lothringen und dem Saarland, fesselnd und berührend geschrieben. Die Struktur des Romans ist originell, etwas herausfordernd und zwingt zum Nachdenken. Sehr empfehlenswert.