Rezension

Berührendes und phantastisch komponiertes Kaleidoskop einer Familie, in der die Grenzen verschwimmen

Je tiefer das Wasser - Katya Apekina

Je tiefer das Wasser
von Katya Apekina

Bewertet mit 5 Sternen

Die Teenager Mae und Edith (14 + 16 Jahre) wohnen mit ihrer Mutter Marianne in Louisania. Nachdem diese einen Suizidversuch unternahm und von Edith gerettet wurde, werden sie vom Vater mit nach New York genommen. Die Mutter verbleibt in einem Psychiatrischen Krankenhaus.

Zu ihrem Vater hatten die Schwestern seit seinem Weggang keinen Kontakt. Edith war damals 4 Jahre alt und kann sich noch an ihn erinnern. Geblieben ist aber vor allem eine riesige Verlassensangst.

Während Mae sich nun freut, beim Vater zu sein und erleichtert über den Abstand zu ihrer sehr vereinnahmenden Mutter ist, weigert sich Edith, sich näher einzulassen. Stattdessen zieht es sie wieder nach Hause, aus Verantwortlichkeit zu ihrer Mutter zurück.

Der Vater war und ist ein erfolgreicher Schriftsteller. Marianne, die auch schrieb, war damals seine Muse. Sie beide trennt ein großer Altersunterschied, als sie heirateten, war Marianne 17 und Dennis 32 Jahre alt. Marianne gab das Schreiben irgendwann auf. Zudem wurde sie depressiv, auch ein Stück wahnhaft und psychotisch.

Schon auf den ersten Seiten nahm mich dieser Roman gefangen, fesselte mich und lockerte erst gegen Ende ein wenig seinen Griff.

Die Sprache und die Komposition fand ich einfach phantastisch! Die Sprache ist zart und kraftvoll, klar und poetisch. Der Ton ist ruhig, tief und mitreissend. Der Roman ist multiperspektivisch aufgebaut, kapitelweise wechseln sich die verschiedenen Erzählperspektiven ab. Mae und Edith haben hier den Hauptanteil inne, es kommen aber auch viele Nebenfiguren zu Wort. Außerdem gibt es Briefe, Tagebuchaufzeichnungen, Arztprotokolle und Interviews. Auch die Erzählzeiten wechseln, so erfährt man in Rückblenden auch von der Beziehung zwischen Dennis und Marianne.

Diese Multiperspektivität ermöglicht dem Leser sehr interessante Einsichten. Jede der Figuren hat eine eigene Sicht, eine eigene Wahrheit sowie eine eigene Wertung der Dinge. So sagt Mae auch einmal: "Manchmal denke ich, wir sind in verschiedenen Familien aufgewachsen". Seite um Seite legt sich, einem Puzzle gleich, der Gesamtblick auf diese Familie frei, was mich in Gänze sehr berührte und auch erschauern liess. "Wie kann man etwas nicht erkennen, was sich direkt vor einem abspielt?" Dieser Satz könnte symptomatisch für die Geschehnisse innerhalb dieser Familie stehen.

Eine weitere große Stärke des Romans ist die Figurenzeichnung. Die Figuren sind tief, komplex und auch widersprüchlich angelegt, dabei sensibel und wertschätzend beschrieben. Sie wirken, ebenso wie die Dialoge, unheimlich echt und lebendig. Eine der Personen, die mir anfangs noch sehr sympathisch war, verlor nach und nach meine Sympathie. Diesen Prozess fand ich überaus gelungen. Die Dynamik zwischen den Familienmitgliedern wird ebenfalls sehr fein gezeichnet. Die Verwischung ihrer Grenzen, das immer deutlicher Werden des Missbrauchs hat die Autorin sehr gut dargestellt.

Der Roman berührte mich sehr, manchmal kam mir sogar wirklich Gänsehaut. Gegen Ende wurde ich ziemlich traurig, da die psychische Grausamkeit größer und das Leid insbesondere von Mae, aber auch von Edith so deutlich spürbar wurde. Gleichzeitig erschien alles so schrecklich absurd. Das alles zog mich jedoch kaum runter, einfach weil der Roman insgesamt so phantastisch erzählt wurde. Dennoch ist das Beschriebene sehr eindrücklich und nachhallend.

Ganz nebenbei, aber auch bemerkenswert, geht es um die Rassentrennungskonflikte der 60er/ 70er Jahre und um Kunst, insbesondere um das Schreiben und die bildene Kunst.

Fazit: Ein berührender atemraubender Familienroman, der einen tiefen Einblick in eine missbräuchliche und von psychischer Krankheit betroffene Familie gibt. Er wird multiperspektivisch, einem Kaleidoskop ähnelnd, in einer wunderbaren Sprache erzählt.