Rezension

Beste Deutsche Literaur!

Landgericht - Ursula Krechel

Landgericht
von Ursula Krechel

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ein Mann kommt nach Deutschland. Zurück nach Deutschland. Zurück in seine Heimat. Eine Heimat, die ihn vertrieben hat, die ihn mit der Vernichtung bedroht hat und doch kommt er zurück. Denn wo sonst soll er hin. Die letzten Jahre hat er in Kuba verbracht, wo er mit seinen deutschen Tugenden einem Anwalt zu Diensten war. Er hat dort als Bürogehilfe gearbeitet, wo er doch ein Jurastudium abgeschlossen hat.
So kommt er also zurück nach Deutschland, hauptsächlich weil seine Frau ihn zurück haben will. Sie hat nach ihm suchen lassen und er wurde gefunden. Und jetzt ist er zurück in diesem Land.

Der große Krieg ist noch nicht lange vorbei und daher allgegenwärtig. Das Land ist im Wiederaufbau nach der selbst heraufbeschworenen Zerstörung. Man braucht gute und qualifizierte Leute auf allen Ebenen.

Der Mann kommt zurück und erwartet viel von diesem Deutschland, das kurz zuvor noch ein tausendjähriges Reich war. Er ist gewillt zu helfen bei diesem Wiederaufbau, doch er erwartet sich auch etwas. Er will Wiedergutmachung, Entschädigung, Gerechtigkeit. Doch was er bekommt ist Kompromiss, Abfertigung, Abstellgleis.

Nicht nur auf der beruflichen Ebene wird  ihm das kleine bürgerliche Glück verwehrt. Auch seine Familie ist zerbrochen. Seine Frau ist ihm entfremdet, doch ist man erwachsen. Kein Platz ist hier für Gefühlsduseleien. Die Kinder sind da eine andere Sache. Zu Beginn des Krieges unter großen Mühen nach England evakuiert und bei Pflegefamilien untergebracht, haben sie ihr Exil ganz anders empfunden. Nicht als Rettung, sondern als Vernachlässigung, Verstoßung. Als sie nun nach Deutschland zurück kommen sollen – die Familie soll wieder vereint sein – weigern sie sich. Längst haben sie sich an ihre neue Familie gewöhnt, sind viel mehr Teil dieser, als sie es in der anderen jemals waren. Die Tochter hat nie wirklich deutsch gesprochen, oder alles vergessen – zu jung ist sie gewesen – der Sohn spricht es mit starkem Akzent, kämpft um die Wörter.

Das Zusammenführungsexperiment scheitert und die Kinder gehen wieder nach England. Man schreibt sich, trifft sich in den Ferien, bleibt sich fremd.

Der Mann kämpft einen aussichtslosen Kampf gegen die deutsche Bürokratie, einen Kampf um Anerkennung. Anerkennung seinen Status, Anerkennung seines Leidens, Anerkennung  der Schuld auf Seiten Deutschlands. Doch nichts nichts wird er erreichen. Es ist wie der Kampf gegen die Windmühlen. Er wird sich in diesem Kampf aufreiben und untergehen. Sein Schicksal als Flüchtling wird ihm nicht zugute gehalten, sondern vorgeworfen – ihm zur Last gelegt. Jeder Anlauf, sich ein klein bisschen Raum zu erkämpfen, versandet schnell in den Mühlen der Verwaltung.

Ein unglaublich beeindruckendes Buch, wenn auch deprimierend bei der Lektüre. Ein recht genaues Bild des Nachkriegsdeutschlands bekommt man hier zu sehen. Armut, Krankheit, Mangel, ebenso wie Menschen, an denen die Kriegszeit scheinbar abgeperlt ist, für die diese Jahre offensichtlich nur ein normales Kapitel ihrer Karriere waren.
Immer wieder schüttelt man den Kopf über die Halsstarrigkeit, die allzu korrekte Bürokratie, der es so sehr an ein wenig Empathie fehlt. Jeder ist nur ein Fall, eine Nummer.
Hat sich das geändert, in den 60 Jahren, die seit dieser Zeit vergangen sind? Berechtigte Zweifel dürfen gehegt werden.
Wahrhaft buchpreiswürdig hat Frau Krechel hier geschrieben. Respekt.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 15. Juli 2014 um 09:50

Es war allerdings nicht nur die Bürokratie, die den Protagonisten hat scheitern lassen, es war auch seine Weigerung, die Vergangenheit ruhen zu lassen und sich in der Jetztzeit einzurichten. So demütig er sich in der Ferne, Kuba, verhalten kalt, ja, so unterwürfig !!! - desto halsstarrig beharrt er darauf, dass er als Opfer behandelt wird. Sicherlich, er ist im Recht - aber seine Weigerung zu LEBEN ist es, die ihm LEBEN letztendlich nicht mehr erlaubt, obwohl er ÜBERlebt hat. Im Ergebnis, befinde ich, handelt er auf seine Weise genaus so unmenschlich (Umgang mit Claire) wie er es bei anderen moniert.

Eine Rezension, die viel wieder zurück holt, und die mir gefällt!

Sebastian Kretzschmar kommentierte am 17. Juli 2014 um 19:14

Danke!