Rezension

Bewegend bis zur letzten Seite

Ein wenig Leben - Hanya Yanagihara

Ein wenig Leben
von Hanya Yanagihara

Bewertet mit 5 Sternen

"´Es wird besser werden´ , sagte sie, und er nickte, weil er sich sein Leben nicht vorstellen konnte, wenn es nicht besser werden sollte." S.139

 

Kennt ihr dieses Gefühl, das euch überkommt, wenn ihr ein Buch gelesen habt, dass euch bis zum Schluss aufgewühlt und mitgenommen hat, ihr im Anschluss versucht es sacken zu lassen, schaltet zur Ablenkung den Fernseher ein und euch erscheint plötzlich alles so plump und nichtig? Genau das ist mir mit diesem Buch geschehen. Bereits zu Beginn der Lektüre hatte ich einige Gedanken dazu niedergeschrieben (Gedankenschnappschuss: Ein wenig Leben). Selbst an dem Punkt hat mich die Schreibweise unfassbar berührt und für sich eingenommen, auch wenn das Geschriebene nicht harmlos ist und die Dinge, die den Protagonisten wiederfahren größtenteils traumatisch sind. In allem was die Autorin schreibt, die Art und Weise wie sich die bestimmte Figuren zu den Geschehnissen äußern, existiert so eine Poesie, dass man denkt, es stehe im Gegensatz. Mir kam es aber immer mehr so vor, als wäre es die einzige Möglichkeit das Gesagte erträglich zu machen, die einzige Erzählweise, die den Leser nicht auch vollkommen vernarbt zurücklässt. Denn die Figuren, die Freundschaften, die Streitereien, die Kämpfe die dieses Buch schildert, zerren an dir und bitten dich aber gleichzeitig Empathie zu empfinden. Man kann es nicht leugnen, es wird tatsächlich von Kapitel zu Kapitel schwerer und nervenaufreibender. Zu lesen wie stark manche Menschen sein müssen und sich ein Schutzschild aufbauen müssen, um das zu ertragen, was ihnen wiederfahren ist. Umso stockender die Augenblicke, die aufzeigen, was wirkliche Freunde alles aufgeben, sich aufopfern, um einem dabei zu helfen Dinge durchzustehen. Und so sehr es nach einem Klischee klingt; man weiß nichts über das Buch, kann es eigentlich kaum in Worte fassen, solange man es nicht selbst gelesen hat. Wichtig ist nur, dass man vor allem wissen muss, dass es sehr sensible und auch selbstzerstörerische Themen beinhaltet, die traurigerweise zu vielen Schicksalen der Menschen gehören.

 

"Er lächelte, als er daran zurückdachte; manchmal wünschte er, einen Verstand wie JB zu haben, einen, der Geschichten ersann, die andere erheiterten, und der so anders war als sein eigener, der ständig nach Erklärungen suchte, Erklärungen, die, auch wenn sie vielleicht zutrafen, frei von Romantik waren, von Witz, von Esprit.“  S.178

 

Ich habe mir versucht Notizen zu machen; Stützen die das fast tausendseitige Buch etwas eingrenzen und kategorisieren können. So etwas wie, dass es aufzeigt was Freundschaft wirklich ausmacht und all ihre Facetten offenlegt. Dass es den Leser sensibel für sehr ernste Themen macht und es gleichzeitig den Impuls sendet, sich stärker mit seinem Umfeld auseinanderzusetzen, darauf zu achten, wenn man merkt, dass es geliebten Menschen nicht gut zu gehen scheint. Oder auch, dass Jude als Dreh- und Angelpunkt angesehen wird, mit ihm aber so viel mehr in Verbindung gesetzt wird und dass Missbrauch, wie auch Prostitution stark thematisiert werden. Letztlich sind dies aber eben nur Randnotizen. Das Buch hat mich zum Schluss wirklich so berührt, dass mir schlichtweg nur noch ein Kloß im Hals stecken bleibt, wenn ich daran denke. Es ist ein Buch, bei dem man sicherlich einiges bemängeln könnte, bei dem man sich fragen könnte, in wie weit die geschilderten Erlebnisse realistisch sind, in wie weit sie Menschen schockieren oder  traumatisieren können, wenn sie ähnliches durchgemacht haben (oder machen). Aber ich finde es ist ein Buch, das ebenso die Wichtigkeit dessen aufzeigt, was in der Gesellschaft immer verschwiegen wird, nämlich dass Dinge geschehen, die furchtbar sind und dass die Psyche des Menschen darunter leidet, so sehr, dass alles zu einem Kampf wird. Ja, das Buch ist heikel und verlangt viel von einem ab, aber es ist ein Buch das wir meiner Meinung nach auch brauchen, um uns vor Augen zu führen, worauf man abseits der "fiktiven" Handlungen des Buches achten sollte und Menschen aufhören müssen die Augen vor schlimmen Themen zu verschließen. Aber auch sie gibt es im Buch, die positiven Momente im Leben, die Liebe die Menschen einem entgegenbringen und einen zusammenhält, die lustigen Sachen, die manchmal wiederfahren und dieses enge Band, das Freunde miteinander verbindet.

 

"Das Leben war beängstigend; es war voller Ungewissheiten. Selbst Malcoms Geld machte ihn nicht völlig immun dagegen. Das Leben würde ihm widerfahren, und er würde versuchen müssen, darauf zu reagieren, so wie sie das alle mussten." S.665

 

Insgesamt: Ein Buch, das sehr traumatische Ereignisse und den schwierigen Umgang damit thematisiert. Man kann zwar wirklich viel darüber schreiben, letzten Endes muss man es aber gelesen haben um die Wucht des Buches zu verstehen. Unfassbar ergreifend bis zur letzten Seite.

Kommentare

katzenminze kommentierte am 27. März 2017 um 22:08

Interessante Rezension! Deine Eindrücke machen mich neugierig. Das Buch steht schon auf meiner Wunschliste. Ich bin gespannt, muss mich aber gedulden weil ich so dicke Bücher lieber als Taschenbuch lese.

katzenminze kommentierte am 02. September 2017 um 16:51

So viel zur Geduld: Ich habe es mir ertauscht und nun auch gelesen. :) Und jetzt stehe ich vor dem Gleichen Problem wie du: Versuchen das alles irgendwie in eine Rezension zu packen. Mich hat die Geschichte auf jeden Fall auch sehr bewegt und nicht losgelassen.

wandagreen kommentierte am 02. September 2017 um 19:08

Oh, ich lese nur eure Kommentare. Ich will das auch lesen und es liegt bereit (Warteschleife); es machte mir Sorgen, dass ich so viele schlechte Rezis dazu gelesen habe. Das sind also zum Glück nur Banausen, die das Buch runterschreiben. Danke Minzi. Und Karin!