Rezension

Bewegend, erschütternd,einprägsam

28 Tage lang - David Safier

28 Tage lang
von David Safier

Bewertet mit 5 Sternen

Was für ein Mensch willst du sein?

„Es gewinnt der, der am wenigsten Angst hat. Das begriff ich nun. Deswegen hatten die Deutschen gegen uns Juden gewonnen. Bisher. Doch jetzt hatten wir keine Angst mehr. Wir waren ja schon tot.“

 

Inhalt

 

Mira Weiss lebt mit ihrer Familie im Judenghetto der Stadt Warschau und schlägt sich irgendwie durch, immer auf der Suche nach Essen oder begehrter Schmuggelware. Ihre Lebenssituation spitzt sich jedoch dramatisch zu, nachdem die SS immer wieder den Umschlagplatz anfährt und systematisch die Häuser des Ghettos räumt. Die Gefangenen werden verladen, um angeblich in Arbeitslagern Dienst zu tun. Aber Mira erfährt aus erster Hand, dass die Deutschen ihre Landsleute in Konzentrationslager bringen, um sie dort zu vergasen.

Fortan setzt sie es sich zum Ziel, nur irgendwie aus diesem Hexenkessel rauszukommen und ihre geliebte kleine Schwester zu retten. Durch Glück, Zufall und geschicktes Handeln, schafft sie es, die erste große Säuberungswelle zu überstehen, der jedoch mindestens eine weitere folgen wird – die Chancen auf ein glückliches Ende rücken in weite Ferne. Doch ein paar wenige junge Männer und Frauen, haben es sich auf die Fahne geschrieben, das Ghetto nicht kampflos zu verlassen, sie leisten Widerstand bis zum letzten Atemzug. Auch Amos, ein junger Mann, der ihr schon einmal das Leben gerettet hat, kämpft für Juden in erster Front und Mira sieht darin die allerletzte Möglichkeit, dem Wahnsinn zu entrinnen …

 

Meinung

 

Schon lange stand dieses Buch auf meiner Wunschliste, denn besonders die persönlichen Schicksale zur Zeit des Nationalsozialismus können mich literarisch immer wieder fesseln und mich emotional erreichen, so dass ich David Safier ernstes Buch über die Widerstandsbewegung im Warschauer Ghetto unbedingt lesen wollte. Erwartet habe ich eine bewegende Geschichte über ein Menschenschicksal zu einer Zeit, in der Menschsein nicht gefragt geschweige denn gewünscht wurde und bekommen habe ich einen ergreifenden, dramatischen Roman, der die gesamte Palette der Gefühle abdeckt. Zwischen gedanklicher Flucht vor der Realität, mutigen Entscheidungen, traurigen Wahrheiten und einsamen Wegkreuzungen zeichnet der Autor ein bemerkenswertes Porträt einer Frau, die alles hinter sich lassen muss, wenn sie nur irgendwie überleben möchte.

 

Das Besondere an diesem Text sind nicht nur die tatsächlichen bedrohlichen Geschehnisse, denen die Juden nur bedingt etwas entgegensetzen können und die sie dennoch immer weiter in die Enge treiben, es sind auch die vielen kleinen Dramen zwischen den äußeren Bedrängnissen, auf die der Autor großen Wert legt. Dabei halten sich glückliche Momente und ernüchternde Entscheidungen durchaus die Waage, was die Handlung sehr realistisch und unmittelbar wirken lässt. Eine kleine Entscheidung kann hier ein Menschenleben retten, welches nur kurze Zeit später dennoch verwirkt ist. Allerdings sind es nicht nur die scheinbaren Zufälle, die Leben retten, nein es sind auch die bewussten Entscheidungen, Menschen zurückzulassen, um das Ziel zu erreichen, sich selbst zu opfern um anderen das Leben zu ermöglichen und die damit verbundenen Gefühle von Trauer, Schuld, Versagen oder Unvermögen. David Safier arbeitet all diese Gegebenheiten deutlich aus, zeigt die Zerrissenheit, die Wut, den einzigen Beweggrund zu töten und die große Leere und Sinnlosigkeit all dieser Verfolgungs- und Tötungsmanöver. Letztlich schwingt die klare Botschaft mit: „Wer waren diese Menschen, die andere dazu brachten, selbst zu Tieren zu werden?“

 

Der Autor schafft vielfältige Charaktere, eine temporeiche, kriegerische Gesamtsituation und kleine stille Oasen des Austauschs und der Freude. Ein Spannungsroman soll es sein, aber auch ein Buch über den Holocaust und die Schrecken der Vernichtung, eine Geschichte, die Generationen verbindet, so beschreibt es der Autor selbst im Vorwort an seine Leser. Und das ist ihm umfassend gelungen, vielleicht auch deshalb, weil die Figuren fiktiv sind, nicht aber die universelle Frage, die sich die Hauptprotagonistin immer wieder stellt: „Was für ein Mensch will ich sein?“ Einer der tötet, weil er sonst selbst getötet wird, einer der verlässt, um sein Leben zu retten, einer der quält, weil es ihm Freude macht oder weil er sich rächen möchte? Und der Fingerzeig liegt immer auf der bewussten Entscheidung für einen Weg, mit all den Konsequenzen den anderen nicht gewählt zu haben. Mira reift in diesen 28 Tagen als Mensch, ohne den Verlust der Würde aber auch ohne die Kraft all ihre Vorhaben verwirklichen zu können. Sie wird reduziert auf ein einziges elementares Wort: Leben, denn das hat sie für sich entschieden, sie will einfach nur ein Mensch sein, der lebt …

 

Fazit

 

Ganz klare 5 Lesesterne und eine Leseempfehlung von mir für diesen Roman über die tatsächlichen Schrecken im Holocaust, der sich auf die inneren Empfindungen konzentriert und auf die ethischen Fragen der Individuen, unabhängig von ihrer Rolle im lebensvernichtenden Krieg. Ein umfassender, intensiver Text über Menschen, die sich im täglichen Überlebenskampf befinden, den sie beim besten Willen nicht entfliehen können. Viel Dramatik, viel Stoff zum Nachdenken, viele Denkansätze verpackt in einer schlüssigen, ergreifenden Erzählung – definitiv eine bewundernswerte Geschichte, die man kennen sollte.