Rezension

Bewegende Fortsetzung

Ein Lied in der Nacht -

Ein Lied in der Nacht
von Ingrid Zellner

Bewertet mit 5 Sternen

„...Das Leben ging stets weiter. Was sich nicht ändern ließ, damit musste man klarkommen, egal wie. Man musste nach jedem Fall und jedem Schicksalsschlag wieder aufstehen, um weiterzumachen, immer...“

 

Diese Gedanken gehen Raja durch den Kopf, als er von seinem Ferienhaus seine Frau Sita und die kleine Tochter Rani im Garten beobachtet. Noch ahnt er nicht, dass diese Worte sich für ihn wie ein roter Faden durch die kommenden Wochen ziehen werden.

Währenddessen hat Vikram für sein Kinderheim Rizwan Padar als neuen Wachmann eingestellt, nachdem er seine Vita auf Herz und Nieren geprüft hat.

 

„...Ich will kein Opfer mehr sein...“

 

Diese Worte sind für Vikrams Frau Sameera der Ausgangspunkt, um einen Kurs in Selbstverteidigung zu belegen und bei Vikram Schießunterricht zu nehmen. Zu schnell wird man im Kashmir als Frau zum Opfer.

Die Autorinnen haben erneut eine fesselnde und abwechslungsreiche Geschichte geschrieben. Die Handlung spielt in der nahen Gegenwart und bettet die politischen Verhältnisse in Indien und insbesondere der Provinz Kashmir mit ein.

Der Schriftstil passt sich perfekt den Gegebenheiten an.

Die Geschichte beginnt bei beiden Familien eher besinnlich und ruhig. Ab und an gibt es kurze Rückblenden zum vorhergehenden Band. Die Wunden von damals müssen noch heilen, vor allem die seelischen.

Raja und Sitas Reise nach Agra lässt vor meinen Augen die Erhabenheit des Taj Mahal entstehen.

Weihnachten begehen Sita und Raja wie gewohnt bei Sameera und Vikram im Kinderheim. Es ist eine liebgewordene Gewohnheit, dass am Abend Lichter angezündet werden und dazu ein Wunsch geäußert wird. Der letzte lautet:

 

„...Deshalb zünden wir auch in diesem Jahr ein Licht für neue Freunde und Familienmitglieder an – und sind gespannt, wen es zu uns bringen wird...“

 

Später besuchen Sameera und Vikram ihre Freunde in Pune. Bei dem Besuch eines Cafes gibt es die Möglichkeit, für Ameera aus dem Kinderheim ein Praktikum zu vereinbaren. Backen ist ihre große Leidenschaft.

Doch das Leben hat auch seine Schattenseiten. Nach einem Attentat nimmt Vikram zwei weitere Kinder im Kinderheim auf. Und Moussa erkennt auf einem Foto in der Zeitung den Mann, der ihn missbraucht hat. Als Vikram Ermittlungen aufnimmt, wird bald deutlich, dass hier ein Kinderschänderring von ganz oben gedeckt wird. Dabei wird Vikram mit einer der dunkelsten Stunden seiner Vergangenheit konfrontiert. Wie geht Raja mit dem Wissen um die Schuld seines Freundes um?

Völlig unverständlich für mich ist, dass zwar Kindesmissbrauch in Indien ein Straftatbestand ist, dass dies aber ausdrücklich nicht für die Region Kashmir gilt.

Ich mag in Büchern gut ausgearbeitete Gespräche, weil sie einen Einblick in die Gedankenwelt und die Gefühle der Protagonisten ermöglichen. Zweimal kommt es zu wichtigen Dialogen zwischen Raja und seinem alten Freund Vishal. Beim ersten Mal äußert Raja:

 

„...Aber ich habe etwas gelernt, was du offensichtlich noch nicht kannst: Ich habe gelernt, mir selbst zu vergeben – zumal ich weiß, dass mir vergeben worden ist...“

 

Beim zweiten Gespräch drehen sich die Verhältnisse um. Dann ist Vishal der Gebende.

Noch in keinem der Vorgängerbänder ist mir die Vielschichtigkeit von Vikram so deutlich geworden wie in diesem. Colonel Nanda Singh sagt von ihm:

 

„...er war nie ein Mann des Friedens...“

 

Wenn man liest, wie liebevoll er sich um die Kinder im Kinderheim kümmert und Raj in einer schweren Lage hilfreich zur Seite steht, vergisst man gern, dass er eine Vergangenheit als Agent hatte. Ab und an wird das in seinen Worten deutlich. Ein gewisser Befehlston in kritischen Situationen ist dann normal. Eines wird mir aber mehr und mehr klar: Er ist kein Mann, mit dem man sich anlegen sollte. Es ist Sameera zu verdanken, dass er an Selbstbeherrschung gewonnen hat. Ihre selbstlose Liebe trägt ihn.

Auch Raja ist ein komplexer Charakter. Zweimal steht die Freundschaft zwischen Vikram und Raja auf Messers Schneide. Interessant finde ich, wie Vikram Raja nach einem haarigen Einsatz einschätzt:

 

„...Du bist verdammt gut und obendrein vollkommen unberechenbar […] Das macht dich zu einem gefährlichen Gegner – und zu einem katastrophalen Soldaten...“

 

Es gäbe noch viel zu der Geschichte zu sagen. Das aber würde den Rahmen einer Rezension sprengen, denn auch im Kinderheim gibt es Neuigkeiten, wenn aus Kinder Jugendliche werden..

Ein Personenverzeichnis und ein Glossar ergänzen das Buch.

Die Geschichte hat mir ausgezeichnet gefallen. Ich freue mich auf den nächsten Band.