Rezension

Bewegende Geschichte

Der Junge aus dem Trümmerland - Sarah Bergmann

Der Junge aus dem Trümmerland
von Sarah Bergmann

Bewertet mit 5 Sternen

„...Paul spürte, dass sich etwas in seiner Brust schmerzhaft zusammenzog. Sein Vater galt als vermisst. Paul hatte ihn seit über zwei Jahren nicht mehr gesehen. Er wusste nichts von ihm. Nur dass er noch lebte. Daran glaubte er zumindest ganz, ganz fest...“

 

Wir schreiben das Jahr 1947. In Berlin – Neukölln sind die Zerstörungen noch lange nicht beseitigt. Der 13jährige Paul treibt sich mit seine Freunden in den Trümmern herum. Außerdem kennt er sich auf den Schwarzmarkt aus. Er hat die letzten Worte seines Vaters nicht vergessen, dass er sich um die Mutter kümmern solle. Bitter allerdings stößt ihm auf, dass seine Mutter häufig Besuch von Bill erhält, einen afroamerikanischen GI. Wie das Eingangszitat zeigt, hofft Paul auf die Rückkehr seines Vaters.

Die Autorin hat ein beeindruckendes Jugendbuch geschrieben. Es lässt das Jahr 1947 lebendig werden und zeigt gleichzeitig, wie tief die Ideologie des Dritten Reiches noch in den Köpfen steckt.

Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen. Er ist abwechslungsreich.

Paul und seine Freunde sehen sich als Bande. Ihr Anführer ist Falke, ein Mädchen. Sie ist mit 16 Jahren die älteste und hat in den letzten Kriegstagen als Flakhelferin gearbeitet. Durch die Gespräche der Jugendlichen untereinander wird klar, dass der Krieg an keinem von ihnen spurlos vorübergegangen ist. So haben Grille und Wally beide Eltern verloren. Bei dem, was die 8jährige Wally so von sich gibt, frage ich mich, was das Kind in seinem Leben schon mit ansehen musste.

Anfangs scheint es so, dass dass sie die Besatzer nach wie vor als Feinde sehen, die es zu bekämpfen gilt und sei es mit Zwille und Stein. Dann aber bringt Grille neue Gedanken in die Gemeinschaft. Sie hat dem Mut, die Werte zu hinterfragen.

Paul fühlt sich in der Bande wohl. Trotzdem haben sie mehr Glück als Verstand, dass das eine oder andere ihrer Unternehmungen nicht tödlich endet. Sie erleben, wie schnell es zu Verletzungen kommen kann.

 

„...Paul gehörte zu einer Generation, die es gewohnt war, gefährliche Dinge zu wagen, um zu überleben. Jemanden wie Paul konnte man vielleicht warnen, stoppen.konnte man ihn nicht...“

 

Paul wurde durch die Zeitverhältnisse geformt. Eines aber konnte man ihn nicht nehmen. Der Junge beweist Empathie und kann zugreifen, wenn es nötig ist. Das zeigt sich, als er eine Verletzte in den Trümmern findet. Auch das Mobbing der Klasse gegen Erwin lässt ihn nicht gleichgültig. Hier allerdings wagt er es nicht, sich gegen die Mehrheit zu stellen.

Während Paul auch mit unlauteren Mitteln gegen Bill kämpft, gibt es Situationen, bei denen muss er feststellen, dass Bill ihn besser versteht als die Mutter. Deutlich wird die innerer Zerrissenheit von Paul. Es wird der Zeitpunkt kommen, wo er sich entscheiden muss.

Ein weiteres Thema wird im Buch angesprochen. Die Rückkehr der Kriegsgefangenen wird von vielen sehnlichst erwarten. Viele aber kommen nicht so zurück, wie sie gegangen sind. Körperliche Wunden sieht man, seelische nicht. Und letztere sind zerstörerisch.

Zu den inhaltlichen und sprachlichen Höhepunkten gehören für mich zwei Gespräche zwischen Paul und Bill. Hier geht es um Schuld und Rache, um das Ausräumen von Missverständnissen und die Sicht auf das Leben.

 

„...Du hast falsche Ideen vom Starksein. Auch starke Männer sind manchmal schwach. Auch starke Männer haben manchmal Angst...“

 

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Ich könnte es mir durchaus als Schullektüre vorstellen.