Rezension

Bewegende Mutter-Tochter-Geschichte zurzeit der Französischen Revolution

Die letzte Tochter von Versailles -

Die letzte Tochter von Versailles
von Eva Stachniak

Bewertet mit 5 Sternen

In Paris Mitte des 18. Jahrhunderts wächst die 13jährige Véronique in ärmlichen Verhältnissen auf, die vaterlose Familie kommt kaum über die Runden. Als ihre Schönheit dem Leibdiener König Ludwigs XV. auffällt, zögert die Mutter nicht lange und verkauft ihre Tochter als Mätresse für den König. Als Véronique schwanger wird, wird sie abgeschoben, schließlich mit einer Mitgift ausgestattet und verschachert, ihre Tochter Marie-Louise kommt zu Betreuern. Jahre später denkt Marie-Louise, inzwischen ausgebildete Hebamme und selbst mit Familie, immer noch an ihre Mutter und fragt sich, wer ihre Eltern waren. In den Wirren der französischen Revolution, in welcher auch Marie-Louises Ehemann eine tragende Rolle spielt, kommt Marie-Louise tatsächlich ihrer Mutter auf die Spur und lüftet das Geheimnis ihrer Herkunft…

Um es gleich vorweg zu nehmen: Wer einen stringent erzählten historischen Liebes- und Abenteuerroman mit fortlaufender Handlung und einer starken Heldin als Identifikationsfigur, wie zum Beispiel bei den Hebamme- oder Wanderhure-Büchern, erwartet, wird eher enttäuscht werden. Natürlich gibt es diese Figuren, auf die sich die Handlung konzentriert, allen voran Véronique und Marie-Louise, doch diese sind immer stark eingebunden in die Geschehnisse ihrer Zeit, werden zum Spielball großer Mächte und der Umstände, und nicht immer geht alles gut aus. In meinen Augen ist der Autorin ein wirklich fulminanter, bewegender, bildhafter Historienroman gelungen, der den Wechsel Frankreichs vom Absolutismus zur Republik zum Leben erweckt, wobei sie sich einzelne Lebensumstände herauspickt und die Ereignisse an deren Beispiel erzählt. Dabei gelingt ihr eine überzeugende Darstellung des Alltags sowohl des Adels und des Königshauses als auch des einfachen Volkes und des Bürgertums. Genauso könnte es wirklich passiert sein, die Menschen und ihr Schicksal werden gerade dadurch, durch ihre Schwächen und Zweifel und durch die Tatsache, dass eben nicht alles immer glatt läuft, authentisch. Hierbei hat man als Leser das Gefühl, man nimmt lebhaft teil an deren Leben und ist selbst mittendrin in dieser Gesellschaft.

Für mich gliedert sich die Geschichte eigentlich in zwei Hauptteile (im Buch ist die Geschichte in mehrere Teile strukturiert), und zwar den ersten um Véronique und den zweiten um Marie-Louise. Der erste bricht dann relativ abrupt ab, und es bleibt lange unklar, was nun eigentlich mit Véronique geschehen ist. Als großartige Erzählerin hat die Autorin verschiedene Erzählstränge und Perspektiven verwendet, die sogar mit verschiedenen Stilen behaftet sind. Man merkt sofort (nicht nur an der Kursivschrift), dass hier Véronique erzählt, aus ihrer Erzählung spricht ihre mangelnde Bildung, ihre Unbedarftheit und Naivität, aber auch ihre Loyalität und ihre Liebe. In Rückblicken wird dann Marie-Louises Kindheit erzählt, und lange Zeit hört man von Véronique erst einmal nichts. Der rote Faden jedoch ist die Verbindung zwischen Mutter und Tochter, zunächst eine geistige, später auch eine reale - ein Faden, der nie abreißt. Beide fragen sich immer, wo die andere ist und ob es ihr gutgeht. Beiden ist gemein, dass sie keine schöne Kindheit hatten, sie werden Spielball der Mächtigen beziehungsweise der Männer, die sie lieben. Beide verkörpern jedoch auch genau ihre Zeit, Véronique die alte Epoche als Mätresse des absolutistischen Herrschers, Marie-Louise als Gattin eines Revolutionärs und Anhänger Dantons die neue, die Zeit der Aufklärung, des Umbruchs und der neuen Zeitrechnung. Marie-Louise stellt aber gleichzeitig das Bindeglied zwischen Monarchie und Republik dar. Anders als ihre Mutter hat Marie-Louise die Möglichkeit, aufgrund ihrer Hebammenausbildung einen Beruf zu ergreifen und ihr Einkommen zu sichern, sie ist also auch ohne Mann lebensfähig. Sehr bezeichnend ist außerdem, dass der Sohn Marie-Louises in eine andere, noch neuere Welt aufbricht – in das junge, gerade unabhängig gewordene Nordamerika. Er verkörpert also auch wieder eine neue Gesellschaftsordnung, ein von Mutterland losgelöster, unabhängiger Staat, in dem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind.

Fazit: Ein großartiger Roman, der von großen Umwälzungen erzählt, von Leben, die trotz allen Widrigkeiten und Rückschlägen gelebt werden. Ich fand die intimen Einblicke in das Leben der Mätressen und den historischen Kontext insgesamt sehr spannend und war tief gerührt von der Mutter-Tochter-Geschichte und der großen Loyalität, die diese Frauen für die, die sie lieben, empfinden. Ein sehr schöner und zu Herzen gehender Roman.