Rezension

Bewegende schöne Geschichte

Morgen irgendwo am Meer - Adriana Popescu

Morgen irgendwo am Meer
von Adriana Popescu

Bewertet mit 5 Sternen

Kommen wir diesmal zuerst zur Gestaltung des Buches: Bei Morgen, irgendwo am Meer durften die Leser*Innen vorab über das Cover des Buches entscheiden. Ich kann mich gar nicht mehr an den zweiten Vorschlag erinnern, finde aber, das aktuelle Cover wirklich sehr schön. Es ist schlicht gehalten und passt farblich gut in den Sommer, ohne, dass es zu bunt oder kindlich wirkt. Außerdem finde ich, dass das Cover die Geschichte schön untermalt. 

Die Schriftart im Buch ist recht angenehm und war für mich gut zu lesen, was unter anderem dafür gesorgt hat, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte. 

An dieser Stelle muss ich unbedingt erwähnen, dass ich ziemlich begeistert von der Leseprobe war, da diese - wahrscheinlich unabsichtlich - barrierefrei ist. Das Cover des Buches ist mit einem Alternativtext unterlegt, der den Titel des Buches enthält. Die Kapitel sind aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Deswegen steht am Anfang von jedem Kapitel der Name des Charakters, aus dessen Sicht das Kapitel geschrieben wurde. Dabei wird der Anfangsbuchstabe des Namens schön geschwungen dargestellt, was optisch schick aussieht. Das Geniale an der Sache: Die Anfangsbuchstaben werden sowohl vom Screenreader als auch der Braillezeile erkannt und somit nicht unterschlagen oder - wie das bei Grafiken häufig üblich ist - merkwürdig dargestellt. 

 

Ich finde es unglaublich schwierig, den Inhalt von Morgen, irgendwo am Meer zu beschreiben, weil ich hier aufpassen muss, um nicht zu viel zu verraten. Wir begegnen hier vier Charakteren, die von außen betrachtet, ein normales Leben führen. Wenn man aber genauer hinschaut, merkt man, dass jeder von ihnen sein Päckchen zu tragen hat. Genau so, wie es uns im richtigen Leben eben auch ergeht.

 

Konrad muss nicht nur damit zurechtkommen, dass Abi zu wiederholen, sondern auch noch Romy ziehen lassen. Wir merken schnell, dass er eine besondere Beziehung zu Romy hat. Und aus diesem Grund will er einen letzten gemeinsamen Sommer mit ihr erleben und sie auf einen Roadtrip mitnehmen, Bevor sie in die Welt hinaus zieht und er eben nochmal die Schulbank drücken muss. 

Dumm nur, dass die beiden kein Auto haben. Da kommt Romys Freund Julian gerade recht: Er bietet an, die beiden zu fahren. Und damit es keine anstrengende Reise wird, sorgt er kurzerhand noch für eine vierte Mitreisende: Nämlich Nele. 

 

In dieser Geschichte sind die Handlungsstränge unglaublich gut miteinander verbunden. Wir merken schnell, dass Romy und Konrad etwas verbindet, aber es wohl auch einen Bruch in dieser Beziehung gibt, der für monatelange Funkstille zwischen den beiden gesorgt hat. Natürlich stellte ich schnell die ersten Theorien auf, was es mit Romys und Konrads Geschichte auf sich hat. Und ich fand es absolut genial, dass mich die Adriana Popescu unabsichtlich an der Nase herumgeführt und auf die falsche Fährte geschickt hat. Ich war schon lange nicht mehr so glücklich, dass meine erste Theorie nicht zugetroffen hat. 

 

Beeindruckt hat mich vor allem, dass Adriana Popescu die Geschichte anhand von drei Handlungssträngen erzählt: Bisher gab es in ihren Jugendbüchern meist zwei Perspektiven und somit auch zwei Handlungsstränge. In Morgen, irgendwo am Meer erleben wir aber vier Charaktere von denen jeder eine Geschichte hat, die aufgelöst werden möchte. 

Ich war fasziniert davon, wie die Autorin die Handlungsstränge verstrickt und Stück für Stück Fährten legt, damit wir die Geschichten entschlüsseln können. Hinweise, die dafür sorgten, dass ich unbedingt weiterlesen wollte, weil ich gespannt war, wie die Puzzleteile zum Schluss zusammenpassten. 

Dennoch hatte ich nicht das Gefühl, dass sich die Geschichte auf der Stelle bewegt oder zu schnell vorangeht. 

 

Wie bereits erwähnt, lernen wir hier vier Charaktere kennen: Diese könnten nicht unterschiedlicher sein. Konrad wirkt so, als wäre ein großer Teil in ihm zerbrochen. Es ist deutlich spürbar, dass ihn ein Ereignis verfolgt und er Mühe hat loszulassen. 

Romy versucht das, was viele Jugendliche und vielleicht auch Erwachsene gerne tun: Sie möchte ein Bild von sich präsentieren, von dem sie glaubt, dass ihre Umwelt genau das sehen möchte. Das Praktische: Der Teil, den niemand sehen darf, wird so perfekt versteckt. 

Auch Julian hat es nicht leicht. Er streift orientierungslos durchs Leben. Sein einziger Halt scheint seine Freundin Romy zu sein. Doch als er merkt, dass Romy und Konrad etwas verbindet, dass er nicht versteht, droht sein einziger Anker wegzubrechen. 

Nele scheint eine gnadenlose Optimistin zu sein. Während die Anderen viel mit sich beschäftigt sind, scheint Nele genau zu wissen, was sie auf der Reise sucht und wo sie im Leben hin will. Doch was ist ihr Ziel auf dieser Reise? Was ist ihre Geschichte? Schafft sie es, diese mit ihren Mitreisenden zu teilen? 

 

Ich habe bei jedem Buch den Eindruck, dass sich Adriana Popescu als Autorin weiterentwickelt und wir das unter anderem in ihrem Schreibstil erleben können. Und es macht mir unglaublich Spaß dabei zuzuschauen. Hier konnte ich zum ersten Mal beobachten, wie die Autorin eine Geschichte aus vier Perspektiven erzählt und zwar viermal in der Ich-Perspektive. Und das Faszinierende ist, dass die Charaktere kein bisschen gleich klingen und man sie wunderbar voneinander unterscheiden konnte. 

Das Schöne ist, dass Adriana Popescu es hier schafft, das Gefühlsleben unserer Charaktere in Worte zu fassen. Und zwar Worte, von denen die Charaktere wahrscheinlich selbst nicht wussten, dass es sie gibt.

Das Wichtige bei Jugendbuchautor*Innen ist für mich, dass sie es schaffen, schwierige Themen in sprachliche Bilder zu übersetzen und die richtigen Worte zu finden, um Leute zu erreichen, denen es vielleicht ähnlich geht und die noch keine Worte zur Verfügung haben, um das zu benennen, was sie fühlen. Und ich denke, dass es Adriana Popescu hier ziemlich gut gelungen ist. 

Interessant war auch, dass in den bisherigen Jugendbüchern viele Fandom Themen angeschnitten wurden, wie beispielsweise Anspielungen auf Doctor Who oder Harry Potter. Hier hingegen finden sich andere Beispiele: Romane oder Comics, bei denen zwar deutlich wird, wie viel sie den Charakteren bedeuten, aber die, die eigentliche Geschichte nicht in den Hintergrund stellen. 

Gesamteindruck 
Morgen, irgendwo am Meer hat mich wirklich positiv überrascht, weil wir hier zum einen eine gut verstrickte Handlung erleben und zum anderen Tiefe geliefert bekommen, sobald alle Stränge aufgelöst sind. 
Das Geheimnis von Romy und Konrad ist ziemlich gut herausgearbeitet und kommt zu einem schönen Abschluss. 

Schön finde ich auch, dass in der Geschichte deutlich wird, dass es eben Zeit braucht, um manche Themen für sich klären zu können und das es okay ist, wenn man sich diese Zeit nimmt und nicht immer leistungsorientiert denken muss.