Rezension

Bezaubernd poetisches Nichts

Offene See
von Benjamin Myers

Benjamin Myers Buch "Offene See" erzählt die poetisch-romantische Geschichte des 16-jährigen Robert. Der weiß schon früh, dass er wie alle Männer seiner Familie Bergarbeiter sein wird. Dabei ist ihm Enge ein Graus. Er liebt Natur und Bewegung, sehnt sich nach der Weite des Meeres. Daher macht er sich einfach auf den Weg ans Meer.

Falls es ein Geheimrezept für den Bestseller-Erfolg des Debütromans von Benjamin Myers gibt, dann kann es eigentlich nur die Kunst der Langatmigkeit sein. Zum Beispiel in Form von Aufzählungen. Aber bloß nichts Überraschendes. Also keine Knalleffekte, Paukenschläge, Unwägbarkeiten, unerwartete Ereignisse oder gar Unvorhergesehenes.

Grundsätzlich gibt es in diesem Buch nichts, womit man nicht längst gerechnet und worauf man nicht seit mindestens 20 Seiten gewartet hat.

Somit beherrscht von Anfang an eine geradezu monumentale Langeweile die Szenerie. Zwischendurch werden philosophische Plattitüden und Trivialitäten als exquisite Erkenntnisse verkauft. Und mehr als einmal kann man sich fragen, warum der Autor eigentlich kneift und seinen Roman im Jahr 1947 (und nicht heute) spielen lässt.

 

Wobei: Die Handlung spielt im Grunde eh keine Rolle: Bergmannsohn reißt von zu Hause aus, trifft wandernd eine Bilderbuch-Lebenskünstlerin, die ihn prompt erweckt. Tataaa: Ein Schriftsteller ist geboren. So weit, so einfallslos. Das Ganze ist aber auch handwerklich ziemlich schlampig umgesetzt. Der Autor schreibt zunächst als alt gewordener Schriftstellers, dann aber aus dem Blickwinkel des 16-jährigen Helden – was leider nicht funktioniert. Myers verheddert sich dauernd zwischen den Blinkwinkeln, was beim Lesen von Seite zu Seite mehr nervt.

Außerdem fehlen zwischendurch immer wieder die Emotionen, dann aber gibt es häufig Passagen, die viel zu gebildet, verblasen, altklug und kitschig sind. Die beiden wichtigsten Charaktere des Stückes verfügen über die Tiefe und Authentizität von Holzscheiten, sie sind etwa so glaubwürdig wie Donald Trump, wenn er versichert, er sei der am wenigsten rassistische Mensch auf der ganzen Welt.

Mit Verlaub, das alles ist ziemlicher Quark. Und schon Goethe wusste: „Getretener Quark wird breit, nicht stark“. Und ein köstlicher Käsekuchen entsteht halt nicht von allein.

 

„Offene See“ ist am Ende vor allem eins – der missglückte Versuch einer Coming of Age-Geschichte. Sie ist derart bieder und trostlos langweilig, dass der Autor seinem (spätpubertären) Helden nicht ein einziges klitzekleines, sexuelles Abenteuerchen gönnt. Der Roman zeigt ein klinisches Idyll, in dem weder onaniert, noch – Gott bewahre! – gevögelt wird. So versteht es sich von selbst, dass auch alle Abenteuer der wohl lesbischen Dulcie nur in sanftestem Pastell angedeutet werden dürfen. Tja, nun: Nicht, dass es in dieser holprig hinkonstruierten „Handlung“ am Ende noch zu irgendwelchen Überraschungen kommt.

 

Der Ehrlichkeit halber sei erwähnt, dass es durchaus Fans dieses Romans gibt, die ihn in den höchsten Tönen loben. Zwar sei alles im Roman „erwartbar und erwartet“, aber manch einer freut sich, wie kunstvoll und poetisch dieses Buch doch erzählt ist. Doch halt: Auch ein bezaubernd poetisches Nichts, das beinahe reizend erzählt wird, bleibt erst einmal was? Genau: Ein Nichts!

Kommentare

Emswashed kommentierte am 02. August 2020 um 12:40

"Bezaubernd poetisches Nichts", was für ein Wortspiel! Werde ich mir merken. (Ich wusste, ich hab aufs "richtige Pferd gesetzt" - danke.)

kommentierte am 03. August 2020 um 17:24

Vielen Dank, aber zu viel der Ehre! :)

wandagreen kommentierte am 02. August 2020 um 12:44

HahahahahahahaHAHAHAHAHAHA. Danke für diesen schönen Verriss.

kommentierte am 03. August 2020 um 17:23

Gern geschehen! :)