Rezension

Bigamie oder Bigotterie?

Das zweitbeste Leben - Tayari Jones

Das zweitbeste Leben
von Tayari Jones

Buchbesprechung zu »Das zweitbeste Leben« von Tayari Jones

Diesen Roman habe ich im Rahmen einer Leserunde auf LOVELYBOOKS gewonnen. Die gebundene, 347-seitige Ausgabe mit der EAN 978-3-716-02783-7 kostet 22.00 € und erschien am 24. Juli 2020 im Arche Literatur Verlag. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Britt Somann-Jung.

Mit der Eröffnungszeile »Mein Vater, James Witherspoon, ist ein Bigamist«, enthüllt Tayari Jones eine atemberaubende Geschichte über die Täuschung eines Mannes, die Komplizenschaft einer Familie und die in der Mitte gefangenen Teenager. Im Mittelpunkt stehen die beiden Mädchen, deren Leben auf dem Spiel steht, und wie die besten Schriftsteller porträtiert Jones die Zerbrechlichkeit ihrer Charaktere mit roher Authentizität, wenn sie Liebe suchen, Aufmerksamkeit fordern und versuchen, sich als Frauen vorzustellen. Der Roman spielt in den 1980er Jahren in einem bürgerlichen Viertel in Atlanta und dreht sich um James Witherspoons Familien: Die öffentliche und die geheime. Wenn sich die Töchter jeder Familie treffen und eine Freundschaft schließen, weiß nur eine von ihnen, dass sie Schwestern sind. Es ist eine Beziehung, die explodieren soll, wenn Geheimnisse enthüllt und Illusionen zerstört werden. Während Jones die Hintergrundgeschichten ihrer reichen und fehlerhaften Charaktere erforscht, offenbart sie auch die Freude und die Zerstörung, die sie einander ins Leben gebracht haben.

 

Meinung

Wie bereits an meiner Bewerbung unschwer zu erkennen ist, reagiere ich auf das Thema Bigamie sehr allergisch, darum hatte es mich gewundert, dass ich den Roman lesen durfte. Das Cover finde ich ansprechend. Zwei Silver Birds auf blutrotem Hintergrund. Einer der Vögel sitzt beobachtend auf einem Ast und ein weiterer breitet seine Flügel aus und entfaltet sich. 

Objektiv betrachtet möchte ich erwähnen, dass die Autorin ihr Handwerk versteht. Stilistisch und vom Aufbau her ist ihr ein Roman gelungen, der sich gut lesen lässt und zum Nachdenken anregen soll, vielleicht löst er bei dem einen oder anderen Leser Sympathie und tiefe Gefühle aus, aber mich hat die Story subjektiv betrachtet nicht im Geringsten erreicht. Bei mir hat sie lediglich ein Kopfschütteln ausgelöst und darum bin ich auch nicht bereit, mir den Roman mit aller Gewalt schönzureden.

Möglicherweise neige ich auch dazu, mehr in die Geschichte hineinzuinterpretieren als der Autorin lieb ist. Und wenn ich dann auch noch Arche-Verlag lese, dann denke ich mir halt so meinen Teil. Und dieser Teil ist nicht angenehm. Ich frage mich nämlich, ob Tayari Jones das Thema Rassismus auf den Schultern der beiden Schwestern austrägt. Dana, die das zweitbeste Leben hinnehmen, sich verstecken, ihren Vater mit Sir anreden muss und sich keine Widerworte erlauben darf, steht stellvertretend für die Unterdrückten der zweiten Klasse.

Sowohl James, Danas Mutter als auch ihr Onkel verhalten sich in meinen Augen unmoralisch, fast schon asozial und kriminell. Das Thema Rassismus wurde hier sehr elegant verwoben. Dana muss auf der ganzen Linie zurückstecken. Eine Szene hat mich besonders stutzig gemacht: Die Frauen wollen genauso glatte Haare haben wie die weißen Amerikaner. Am liebsten möchten sie ihre Herkunft leugnen. Afroamerikaner mit heller Haut und glatten Haaren sind bessere Afroamerikaner. Michael Jackson war dann wohl der Beste von allen. Einige Leser werden nun Verständnis für die Protagonisten aufbringen, weil wir Deutschen können ja immer alles ganz genau nachvollziehen, uns in die Figuren hineinversetzen und mit ihnen fühlen. Aber seien wir doch mal ehrlich - was sich der Mister Witherspoon da erlaubt, das geht doch auf keine Kuhhaut! Führt sich auf wie ein masochistischer Patriarch. Das ist blanker Narzissmus. Eine rücksichtslose, unverantwortliche Zumutung. Und die Mutter duldet das? Was für eine Frechheit, die gehört genauso weggesperrt wie der James. Aber was soll man von einer Frau, die sich mit 14 Jahren schwängern lässt, auch anderes erwarten?

Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass sich das Thema Bigamie im übertragen Sinne auf Bigotterie bezieht. Der Mann tanzt auf zwei Hochzeiten. Ein Spagat, der nur sehr schwer zu bewältigen ist.

 

Fazit

Ich konnte für Danas Standpunkt und Neugierde überhaupt kein Verständnis aufbringen. An ihrer Stelle hätte ich viel früher rebelliert und meinen Vater mit dem Gesäß nicht mehr angeschaut. Ein gequirlter, an den Haaren herbeigezogener Blödsinn. Von mir gibt es keine Leseempfehlung, aber das ist auch nicht notwendig, denn die US-amerikanische Talkshow-Moderatorin Oprah Gail Winfrey hat bereits angekündigt, diesen Roman verfilmen zu wollen. Bevor man mich ausbuht und mit faulen Eiern bewirft, vergebe ich 3 von 5 möglichen Sternen: Zwei für die beiden Vögel auf dem Cover und einen für die gelungene Übersetzung. 

 

Gut zu wissen!

Im Original erschien das Buch bereits 2011 und wird nun auf Deutsch nachgereicht, nachdem Tayari Jones 2018 mit ihrem sowohl von Oprah Winfrey als auch von Barack Obama gepriesenen vierten Roman In guten wie in schlechten Zeiten der Durchbruch gelungen war. Tayari Jones wurde 1970 in Atlanta geboren und studierte Englisch in Iowa, Georgia und Arizona. 2019 wurde sie mit dem Women's Prize for Fiction (bei Anmeldung für den Newsletter kann man dort ein mit 6 Büchern gefülltes Buchpaket gewinnen!) ausgezeichnet.

 

 

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