Rezension

Bin ruck-zuck zum Stoffling geworden

Das rote Kleid - Guido Maria Kretschmer

Das rote Kleid
von Guido Maria Kretschmer

Bewertet mit 5 Sternen

Alle lieben Guido Maria Kretschmer. Wo immer er auftaucht, fliegen ihm die Herzen zu aufgrund seiner sympathischen und respektvollen Art. Und genauso ergeht es auch dem Leser dieses Buches, denn es ist ebenso sympathisch, rundum liebenswert, eben ganz und gar eine Kreation von Guido Maria Kretschmer.

 

Ausnahmsweise bemühe ich den Klappentext zur Inhaltsangabe: Anascha ist ein wunderschönes rotes Kleid aus Seide. Sie hängt an einem Filmset in der Garderobe und wartet gespannt auf ihren Auftritt. Aber Anascha ist noch ein junges Textil, und so ist sie froh, dass sie in guter Gesellschaft ist: Da gibt es Eric, den alten Mantel, der bald ihr engster Vertrauter wird, ein liebenswertes Nachthemdchen, das immer vom Bügel stürzt, oder Lulu, das charmante Revuekleid aus Las Vegas. Nur gut, dass sie alle zusammenhalten wie aus einem Garn genäht, denn bald müssen sie so manche Herausforderung meistern. Und vielleicht gelingt es Anascha am Ende sogar, ihren großen Traum zu erfüllen – ein richtiges Zuhause zu haben und einen Menschen, der sie wirklich liebt, für immer ...

 

Mich hat in allererster Linie fasziniert, mit welch ideenreichen Wort- bzw. Satz-Schöpfungen der Autor die Welt „des Textils“ zu schildern versteht. Da schließen sich die müden Knopflöchlein, da muss man dem eingebildeten Dior-Kleid den kalten Saum zeigen und dass Kleider ein Herz auf Fäden haben, versteht sich von selbst. Je länger man mit Anascha, dem roten Kleid, die Zeit verbringt, desto mehr entsteht tatsächlich so etwas wie eine neue Achtung vor Kleidung, man wandelt sich zunehmend zum „Stoffling“.  Wir verstehen plötzlich, dass Kleider geliebt werden möchten, dass sie sich sehnen nach Wärme, nach Bügelwärme, und dass sie ihre Energie ziehen aus unserer Aufmerksamkeit und Pflege.

 

Die Hörbuch-Version ist ein Highlight! Dass Guido Maria Kretschmer so feinfühlig lesen kann, hätte ich nicht erwartet. In der Kombination mit den drei Generationen Thalbach, die gewohnt großartig und sehr differenziert gestalten, gewinnt das Buch noch mehr an eindringlicher Lebendigkeit. Ein ideenreicher, feiner Spaß!

Einziger Minuspunkt: Dass die weiße Bluse aus Wuppertal spricht, als sei sie aus Köln, ist leider ein grober Fehlgriff. Wer immer dies zu verantworten hat, sollte zu einem Sprachkurs in Wuppertal verdonnert werden!