Rezension

Bis ans Ende der Welt für den einen großen Traum

Miss Bensons Reise -

Miss Bensons Reise
von Rachel Joyce

Bewertet mit 4 Sternen

Margery Benson ist im Jahr 1950 beinahe so alt wie das Jahrhundert, als sie eines Tages endgültig genug hat von respektlosen Schülern und wutschnaubend ihre Schule verlässt. Schon als kleines Mädchen hatte Margery sich für Tiere begeistert, die noch unentdeckt in fernen Ländern leben. Ihrem Vater würde sie immer dankbar dafür  sein, dass er sie beim Betrachten eines Folianten voller phantastischer Wesen damit vertraut gemacht hatte, dass die Idee schon vor der Begegnung mit einem Lebewesen existieren kann. In einer Zeit, in der Lebensmittel noch rationiert werden und Margerys Schuhe kurz davor sind, sich aufzulösen, beschließt sie, endlich ihren Traum zu verwirklichen. Sie will eine Expedition nach Neukaledonien organisieren, um einen goldenen Käfer zu entdecken, die neue Art zu dokumentieren und dem Londoner Museum of Natural History zu übergeben. Die Suche nach einer Expeditionsleitung bringt Margery die Begegnung mit Enid Pretty, deren Rechtschreibung zwar ausbaufähig ist, die sich auf der Reise zur Rückseite des Planeten jedoch als treue Seele und bewundernswertes Organisationstalent zeigen wird. Enid und Margery sind jede ein Kind ihrer Epoche,  wie auch der Ex-Soldat Mukic (der sich ebenfalls für die Expeditionsleitung bewirbt und das gesamte britische Kriegstrauma auf seinen Schultern zu tragen scheint). Enid und Margery  überstehen auf ihrer Reise eine tragikomische Situationen nach der anderen, die meist scharf an der Groteske vorbeischrammen. Einige Geschichten wirken zu gut, um erfunden zu sein, und vermitteln Joyce‘s erstaunliche Empathie für die 50er Jahre. Rachel Joyce beschreibt eine Generation, in der Frauen ohne Männer die Ärmel hochkrempelten, egal ob  anderen das passt, und in der körperlich und psychisch gezeichnete Männer wie Mukic schon bald Legende sein werden.

Die Frauen, die zusammenpassen wie zwei linke Latschen, müssen zu ihrer Zeit erst ans Ende der Welt reisen, um sich selbst zu finden – und das hat sich seitdem offenbar nicht geändert, wie der Epilog andeutet. Rachel Joyce würde ihre Leser auch ohne groteske Übertreibungen rühren und unterhalten können, streckenweise wirkt das Abenteuer reichlich abgedreht. Ihren Roman habe ich als zeitlose Auseinandersetzung damit gelesen, welches geistige Futter Gesellschaften ihren wissbegierigen kleinen Mädchen zu bieten haben – und wohin es führen kann, „schlichte Wesen“ zu unterschätzen, seien es  elternlose Kriegskinder oder unentdeckte Arten ferner Kontinente.