Rezension

Bissige, unterhaltsame Gesellschaftssatire - stellenweise mit Längen

Die Hungrigen und die Satten - Timur Vermes

Die Hungrigen und die Satten
von Timur Vermes

Bewertet mit 4 Sternen

Vor sechs Jahren hatte sich der Journalist und Schriftsteller Timur Vermes (51) mit seiner inzwischen verfilmten Gesellschaftssatire „Er ist wieder da“ (2012) über den auferstandenen Nazi-Führer Adolf Hitler und den heute in Deutschland gegenwärtig erwachenden Rechtsradikalismus in die Bestsellerlisten geschrieben. Mit seinem zweiten Roman „Die Hungrigen und die Satten“, im August beim Eichborn-Verlag erschienen, versetzt er uns nun in eine nicht allzu ferne Zukunft.

Der Begriff „Kanzler“ ist inzwischen durch „Merkel“ ersetzt, allerdings ist der jetzige Merkel ein Mann. Das Flüchtlingsproblem scheint gelöst: Die europäischen Grenzen sind abgeschottet, südlich der Sahara wurden mit europäischem Geld riesige Lager eingerichtet, in denen sich Millionen Menschen unter ärmlichsten Verhältnissen eingerichtet haben. Die Flüchtlinge warten und warten, wissen allerdings nicht worauf. Da erscheint ihnen in Nadeche Hackenbusch, einer deutschen Trashshow-Moderatorin, ebenso dumm wie clever, ein wahrer „Engel im Elend“, wie auch ihre Doku-Soap im Privatfernsehen heißt. Hackenbusch nutzt den Einsatz im Flüchtlingslager und das Mitleid der Zuschauermillionen, ihren eigenen Marktwert zu steigern und ihre Show zum Quotenhit mit rapide steigenden Werbeeinnahmen zu machen. Im Lager verliebt sie sich in den smarten, aber ebenso cleveren Flüchtling Lionel, der es seinerseits versteht, Hackenbuschs Profilierungssucht zum eigenen Vorteil zu nutzen. In einem Zug von 150 000 Lagerbewohnern machen sich „die Schöne und der Flüchtling“, gut organisiert und mit Wasser und Nahrung von einer mafiösen Schlepperbande bestens versorgt, auf den Fußmarsch nach Deutschland. Wieder einmal viel zu spät steht die deutsche Regierung vor einem gewaltigen Flüchtlingsproblem. Niemand ist auf diesen biblisch anmutenden „Zug durch die Wüste ins gelobte Land“ vorbereitet.

Die Handlung des Romans spielt in der Zukunft , doch sind die von Timur Vermes aufgezeigten Fragen und Probleme keineswegs fiktiv, sondern vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise 2015 immer noch höchst real. Schon damals hatte die deutsche Regierung das drohende Problem jahrelang verschlafen, die EU-Grenzländer Italien und Griechenland allein gelassen – mit den bekannten Folgen.

Bissig und rücksichtslos beschreibt Timur Vermes in seinem trotz mancher Längen lesenswerten Roman die Trägheit der „Satten“, die sich, ohne sorgsam vorbereitet zu sein, hektisch und verzweifelt der „Hungrigen“ zu erwehren suchen. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man – und man kann es tatsächlich! – beim Lesen herzlich lachen oder doch zumindest schmunzeln. Vermes zieht nicht nur über die Regierenden her, sondern macht auch uns Bürger verantwortlich. Politiker denken statt an die Menschen nur an den eigenen Machterhalt und den ihrer Partei. Sogar der Einsatz militärischer Gewalt ist eine Option. Und unsere träge und sonst sorglose Gesellschaft spaltet sich in Plüschtiere verteilende Gutmenschen, in militante Organisatoren von Bürgerwehren und rechtsradikale Polit-Profiteure einer in der Bevölkerung wachsenden Unsicherheit und Panik.

Der Autor kritisiert nicht „die anderen“, sondern hält uns allen den Spiegel vor, niemand bleibt ungeschoren. Lacht man gerade über eine Szene, vergeht einem das Lachen gleich wieder: Was im ersten Moment witzig erscheint, erweist sich beim zweiten Blick doch als Realität. Der Roman „Die Satten und die Hungrigen“ ist wirklich gut, lässt sich gut lesen, unterhält und stimmt gleichzeitig nachdenklich. Doch um 100 bis 200 Seiten straffer, hätte er mehr Tempo und noch mehr Biss.