Rezension

Bissiges Gesellschafts-Panorama

East Side Story - Louis Auchincloss

East Side Story
von Louis Auchincloss

Bewertet mit 4 Sternen

Louis Auchincloss erzählt über mehrere Generationen hinweg vom Familienclan der Carnochans, deren Stammvater aus Paisley/Schottland nach New York einwanderte und bis zum amerikanischen Bürgerkrieg als Tuchhändler erfolgreich war. Aus dem Stammbaum werden einzelne Familienmitglieder in einem jeweils eigenen Kapitel hervorgehoben und in der Familiengeschichte verortet. In der ersten in den USA geborenen Generation geht es noch darum, dass Unternehmern nicht nur Kinder geboren werden, sondern dass darunter auch ein männlicher Nachfolger für das Geschäft heranwachsen sollte. So werden in Peters Generation im Stammbaum „Töchter“ in einem Posten zusammen gefasst, ohne Namen und Geburtsdaten zu nennen. Schon im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) spaltet das Thema Sklaverei die Familie, Vater und beide Söhne stellen sich mit ihrer Haltung dazu moralisch bloß. Douglas kauft sich vom Militärdienst frei und profitiert stattdessen geschäftlich vom Handel mit Uniformen; Peter zeigt weder Talent fürs Geschäft, noch zeugt er Erben, so dass sein Ast im Stammbaum vertrocknet. Douglas vollzieht den Übergang von der schuftenden Einwanderer-Generation zum Aufbau von Dynastien durch taktisch geschickte, vermögensbildende Eheschließungen. Frauen sollen nun nicht mehr nur Erben fürs Geschäft zur Welt bringen, sondern auch Töchter mit Köpfchen, aber bitte nicht zu viel, weil sonst anderen auffallen könnte, dass sie einen Einfaltspinsel geheiratet haben. Das Taktieren und Verhandeln auf dem Markt alter Namen und alten Geldes wirkt alles andere als romantisch.

Gordon und ein ganzer Trupp von Vettern stehen anschaulich für eine Generation, die durch das presbyterianische Erbe ihres Urahnen geprägt ist, ohne sich dieser Werte unbedingt bewusst zu sein. Wer würde beim Begriff Vettern hier an Vetternwirtschaft denken … Gordon heiratet als erster der Carnochans eine Frau mit Beruf. Seine Ochsentour auf der Karriereleiter einer großen Anwaltskanzlei zeigt, dass weder Geld noch Begabung allein eine Karriere garantieren, wenn beides nicht mit Beziehungen, Menschenkenntnis und einem gehörigen Maß an Raffinesse gekoppelt ist. Nicht nur nach oben kommen ist gefragt, sondern oben bleiben, und dafür müssen schon in der Schulzeit die Fäden geknüpft werden. Egal, ob eine teure Privatschule nichts taugt, Hauptsache, Vater und Onkel waren auch schon dort. Interessante Personen sind neben all den Karrieren und geplatzten Träumen James Tochter Estelle in der Rolle der unverheirateten „Tante“ ohne eigenes Leben und Wallaces Tochter Loulou, die vermutlich am besten von allen mit den gesellschaftlichen und finanziellen Umbrüchen der 50er Jahre umgehen kann.

In einer für die Epoche passenden, leicht verschnörkelten Sprache zeigt sich Louis Auchincloss als genauer Beobachter der US-Aristokratie und als bissiger Chronist. Er hat selbst als Anwalt gearbeitet und kennt das Milieu, über das er schreibt. Sein für eine Familiengeschichte sehr kurzer Roman ist dicht bepackt mit klassischen Typen und zeitlosen Konflikten, die ihn beinahe wie eine Schablone für Familienromane wirken lässt.