Rezension

Bissle zusehr gewollt aber immer noch gut

Auf Erden sind wir kurz grandios - Ocean Vuong

Auf Erden sind wir kurz grandios
von Ocean Vuong

Bewertet mit 3.5 Sternen

>Ich würde sagen, dass das zentrale Thema des Buches die Unmöglichkeit ist - oder eher das Versagen: das Versagen des "Amerikanischen Traums", das Versagen der amerikanischen hegemonialen Männlichkeit, das Versagen von Sprache, das Versagen von Zeit in einer kapitalistischen Welt.< - Ocean Vuong

Worum es geht: 

Little Dog schreibt seiner Ma einen Brief. Einen Brief in dem er ihr alles erzählt, alles was er empfindet, was er erlebt hat, sowohl als Kind unter ihrer Obhut, als auch als Erwachsener. Die Samstagsausflüge ins Einkaufszentrum, die Prügel mit dem Milchkrug, die erste Liebe, die Erzählungen vom Vietnamkrieg und Prostitution der Grossmutter. Wie der Krieg in Menschen weiterlebt. Er rechnet ab, schliesst ab und sagt Lebewohl. Einmal alles durchkauen bevor er loslassen kann, und ihr verzeihen. Ein Brief der niemals gelesen wird, denn seine Mutter ist Analphabetin. 

"Es gibt so vieles, was ich dir sagen will, Ma. Ich war einmal naiv genug zu glauben, dass Wissen Klarheit schafft, doch manche Dinge sind so umflort von Zeichen und Bedeutungen, von Tagen und Stunden, Namen die man vergessen, erhalten und abgelegt hat, dass die Wunde, nur weil man weiss, dass sie existiert, dadurch noch lange nicht freigelegt wird."

Meine Meinung: 

Wie viele wahrscheinlich wissen ist Ocean Vuong vor allem als Poet bekannt. "Night sky with exit wounds" wird allerorts geliebt. Wie nicht so viele wissen kann ich mit Poetry kaum was anfangen und hatte deshalb keine Ahnung. Mit diesem Debüt vermischt Vuong nun seine poetische Sprache mit einem Brief, einer Geschichte die mehr braucht als ein Gedicht umfassen könnte. Vuong hat über 250 Seiten gebraucht. "On earth we're briefly gorgeous" ist ebenfalls der Titel eines seiner Gedichte.

Wie können Menschen unter gegenseitig zugefügtem konstanten Schmerz sich schützen, lieben und letzendlich versuchen zu heilen? Durch Hoffnung. 
Zwischen den Anschuldigungen auch immer der Wunsch geliebt zu werden. Indem Vuong die Briefform wählt, und viel wiederholt, weil der Brief soll nicht gelesen werden, ist nur für den Schreiber gedacht, entsteht eine fast nicht auszuhaltende Nähe. Little Dog sucht die Nähe zu seiner Mutter und öffnet sich. Legt alles offen dar und reflektiert über das, was seine Mutter im Laufe des Lebens dargelegt hat. So ehrlich kann er nur sein, da er weiss, dass sie den Brief nie lesen wird. Drogen, Sex, Beschuldigungen, mit nichts wird zurückgehalten. 

Wie bereits in seinem Poesieband behandelt er auch in diesem Buch die Themen Vietnam-Krieg, Homosexualität, Drogen. Little Dog hat Vietnam als Kleinkind verlassen, der Krieg längst vorbei. Und doch lebt der Krieg in ihnen weiter. Sowohl seine Grossmutter, die als Prostituierte arbeiten musste um zu überleben und dann ein von einem Soldaten geschwängert wird, als auch seine Mutter, das Mischlingskind, leben für den Rest ihres Lebens im Krieg. Da Rose, Little Dog's Mutter, nicht anders weiss damit umzugehen, wird der Sohn als Ventil benutzt. Keine Entschuldigung, nur eine Erklärung.  

Vuong bleibt ehrlich mit seiner Schreibe. Da er weiss mit Wörtern umzugehen, spielt er. Teilweise macht es Spass, zu sehen was ein Wort ausmachen kann. Meistens bedrückt es. "Auf Erden sind wir kurz Grandios" tut weh. Es schneidet tief, weil es so offen und real ist. Das ist es auch, was den Leser in den Bann zieht. Wie ein Voyeur, denkt man manchmal man müsse das Buch weglegen, gehört sich doch nicht, die Gedanken eines anderen zu lesen. Little Dog's erste Liebe Trevor tat mir beim Lesen weh. Schmerzlich und kurz grandios. 

Wie bereits zu Beginn gesagt, Dichtung und ich, wir werden keine Freunde. Dementsprechend ist meine Meinung wohl nicht zu beachten, wenn ihr grosse Fans seid. Ich dachte mit seinem Versuch eines Romanes kann ich mich anfreunden. Während das Buch mich im Bann hatte, und bis auf die Knochen hat mitfühlen lassen, muss ich leider gestehen, dass mir vieles zu gewollt rüberkam. Ab der zweiten Hälfte wird es sehr poetisch für meinen Geschmack, und für mich zu sehr ausgeschmückt. Richtige Grenzen ziehen kann er wohl noch nicht. Ich bin im Zwiespalt mit mir. Das Herz sagt ich mochte es sehr. Hab ich doch was gefühlt. Der Kopf sagt "Aber". Lasse ich so stehen. Ich bin gespannt was er zukünftig zu bieten hat.