Rezension

Black Lives Matter

Die verschwindende Hälfte - Brit Bennett

Die verschwindende Hälfte
von Brit Bennett

Bewertet mit 4 Sternen

Geheimnisse und Lügen, Emanzipation und Selbstfindung, Black Lives Matter und White Supremacy - das alles sind die Zutaten für Britt Bennetts Roman „ Die verschwindende Hälfte“, der soeben für den National Book Award nominiert wurde. 

Bennett, die als legitime Nachfolgerin Toni Morrissons gehandelt wird, beschreibt in ihrem Buch höchst einfühlsam die Geschichte der Zwillinge Stella und Desiree, die aus einem Kaff in den Südstaaten der USA stammen. Mallard, so der Name des Dorfes, ist stolz auf seine farbige Bevölkerung, die, qua Herkunft und Heirat, im Laufe der Generationen immer hellhäutiger wurde. Stella und Desiree machen da keine Ausnahme. Trotzdem müssen auch sie die Demütigungen der „ weißen Herren“ ertragen. Sie beschließen eines Tages, das Dorf zu verlassen, ihr Glück in einer großen Stadt zu suchen, und verlieren einander bei dem Versuch. Besonders Stellas Leben nimmt eine dramatische Wendung und wird auch das Leben der Töchter der Zwillinge beeinflussen. 

Im Velauf der Handlung werden ebenjene Töchter, Jude und Kennedy, wichtiger als ihre Mütter. Ihnen obliegt es, die Lügen und Geheimnisse der vorigen Generation aufzuarbeiten, um ihre eigene Identität zu finden. Das ist zu große Teilen berührend erzählt, und vor allem die Figuren der Töchter sind hervorragend gezeichnet. Mit viel Empathie beschreibt Bennett deren Ängste und Nöte. 

Die Gewichtung der Hauptprotagonisten halte ich allerdings für etwas problematisch, denn über weite Teile des Romans wird Stellas Leben mehr Beachtung geschenkt, als dem Desirees. Erst gegen Ende hat man den Eindruck, dass noch ein wenig aus dem Leben der Zwillingsschwester nachgeholt wird. Auch den Nebenfiguren wird nicht genügend Raum gegeben, was ich äußerst schade finde, denn mit Reese, Judes Freund, gelingt Bennett ein toller Charakter, dessen transgender- Probleme allerdings ebenfalls nur am Rande gestreift werden. 

Vielleicht wollte Britt Bennett zu viel in ihre Story stecken und zwei brennende Probleme der aufgeheizten, U.S.- amerikanischen Gesellschaft angehen. Eine der wichtigsten Stimmen der jungen, farbigen US - Literatur ist sie aber ohne Zweifel.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 01. Oktober 2020 um 17:36

National Book Award ?! Ja, supi!

Also, Himmilein, einerseits gebe ich dir völlig recht. Die Nebenfiguren waren nämlich alle taff, gut fassbar, originell, ohne drüber zu sein. Sie wären aber drüber gewesen, wenn sie mehr Raum eingenommen hätten. Weil sie besonders originell waren. Es war eine gute Entscheidung, sie am Rande zu lassen.

Ich hab mehr von Desiree nicht vermisst. Weil sie weniger Probleme hatte, die auch gelöst wurden, als sie wieder nach Mallard kam. Stellas aber nie.

Ich war zuerst allerdings schon enttäuscht, dass erst die nachrückende Generation sich wieder mit dem Konflikt beschäftigte und ihn so wieder in die erste Generation zurückspiegelte, andererseits fand ich es literarisch wieder gut gelöst, eine weite Zeitspanne zu wählen. Waren es nicht eh schon 400 Seiten? Mit Ausweitungen wären das leicht 800 geworden und ein Jahrhundertwerk ;-).

Jo, aber im Grunde ... sind wir uns einig. Das ist ja schon mal was.