Rezension

Blaue Nacht in Hamburg

Blaue Nacht - Simone Buchholz

Blaue Nacht
von Simone Buchholz

Bewertet mit 3.5 Sternen

Weil sie einen Vorgesetzten der Korruption überführt und einem Gangster die Kronjuwelen weggeschossen hat, ist Staatsanwältin Chastity Riley jetzt Opferschutzbeauftragte und damit offiziell kaltgestellt. Privat gibt es auch keinen Trost: Ihr ehemaliger Lieblingskollege setzt vor lauter Midlife-Crisis zum großen Rachefeldzug an, während ihr treuester Verbündeter bei der Kripo knietief im Liebeskummer versinkt. Da ist es fast ein Glück, dass zu jedem Opfer ein Täter gehört. Das Opfer ist ein Mann ohne Namen, der übel zugerichtet in ein Krankenhaus im Hamburger Osten eingeliefert wird. Alles sehr professionell gemacht, der klassische Warnschuss. Riley gewinnt nach und nach sein Vertrauen. Bei zwei bis acht Bier auf der Krankenstation nennt er ihr schließlich einen Namen. Nicht seinen, aber es ist eine Spur, und die führt nach Leipzig. Dort findet Riley einen Verbündeten und viel zu viele synthetische Drogen. Als ihr klar wird, wer hinter der Sache steckt, sieht sie ihre Chance, endlich einen der ganz großen Fische dingfest zu machen. (Quelle: Amazon)

Das Cover strahlt eine kühle Eleganz aus und macht gleich deutlich, dass man sich in Hamburg befindet. Im Gegensatz zu den vorherigen Covern und Titeln, schreit es nicht 0815-Kiezkrimi, sondern wird dem anspruchsvollen Kriminalfall in dem Band ausgesprochen gerecht.

Der Start in den Roman fiel mir zunächst nicht leicht, da es sich hier um einen Band einer Reihe handelt. Der Kriminalfall an sich ist abgeschlossen, aber das Buch knüpft bei den Charakteren an die vorherigen Bände an. Es fielen Namen, die ich erst einmal nicht zuordnen konnte. Doch dieses Problem wurde von Simone Buchholz geschickt gelöst, in dem zwischen den einzelnen Kapiteln, die von Chastity Riley in Ich-Form erzählt werden, die Personen von sich selbst zum Sprechen kamen. Diese Kapitel sind chronologisch mit Zeitangaben versehen, sodass am Ende von jedem mehr oder weniger eine Kurzbiographie entsteht. Einige Namen kann man nicht gleich zuordnen, sondern muss anhand des Gesagten schlau kombinieren, um wen es sich handeln könnte.

Der Schreibstil ist an vielen Stellen sehr minimalistisch, dennoch strotzt der Text von guten Sprüchen und Aussagen, besonders von Chastity Riley, denen man einfach nichts mehr hinzu zu fügen hat. Vieles steht zwischen den Zeilen. Es ist trotz kurz angebundener Sätze kein trivialer Roman, sondern man muss höllisch aufpassen und versteckte Hinweise und Andeutungen erkennen, um Zusammenhänge und Ereignisse besser zu verstehen. Informationen werden nicht auf dem Silbertablett präsentiert, sondern sind vom anspruchsvollen Leser selbst herauszufinden. Nicht alle Fragen werden beantwortet, aber das muss hier auch gar nicht sein. Es bleibt Platz für eigene Spekulationen.

Der Roman lebt von den Charakteren, allen voran von Hauptprotagonistin Riley. Es ist ein bunt zusammen gewürfelter Haufen und dennoch sind sie sich gegenseitig die selbsterwählte Familie, die füreinander einsteht. Simone Buchholz ist es hier gelungen außergewöhnliche Charaktere zu schaffen, deren Umgang miteinander den eigentlichen Kriminalfall fast erblassen lässt. Man saugt die tollen Sprüche einfach in sich auf und kann davon nicht genug bekommen. Mir hat gut gefallen, dass sie die sonst so spröde Riley auch in der Lage ist Gefühle zu zeigen. Das verleiht ihr besondere Tiefe und Authentizität. Einzig hat mich sowohl an Riley als auch an den anderen Charakteren, deren doch stark erhöhter, an Sucht grenzender, Zigaretten- und Alkoholkonsum gestört. Es gibt fast keine Begegnung zwischen den Charakteren, die nicht in einem Saufgelage enden. Hier kann schnell der Eindruck entstehen, dass der erhöhte Konsum beider Substanzen als Merkmal für einen authentischen, lässigen, coolen usw. Charakter steht. Eine Botschaft, die man vielleicht doch mal hinterfragen sollte, zumal dieses Merkmal häufig in Krimis und Thrillern gewählt wird um eben den geschilderten Eindruck einer Person zu erzeugen. Meiner Meinung nach gibt sehr viel mehr, was Riley zu einem tollen Charakter macht, auch ohne den hohen Konsum von Alkohol und Zigaretten.

„Blaue Nacht“ ist ein außergewöhnlicher und anspruchsvoller Kriminalroman, den ich nach anfänglichen Startschwierigkeiten sehr gerne gelesen habe und dessen Atmosphäre mich voll und ganz nach Hamburg mitgenommen hat. Man muss die Vorgängerbände nicht zwingend gelesen haben, aber ich würde es dennoch empfehlen. Es ist kein Roman, der man einfach mal so zwischendurch lesen sollte. Um die Charaktere, die Atmosphäre und den Schreibstil richtig auf sich wirken lassen und genießen zu können, sollte man sich Zeit nehmen.