Rezension

Blutige Jagd

Durst
von Jo Nesbø

In Oslo treibt ein besonders brutaler Serienkiller sein Unwesen. Er datet Frauen über Tinder, stalkt sie und bringt sie schließlich um. Die Polizei hat zwar Spuren, kann sie aber nicht erkenntnisgewinnend einsetzen, zudem mangelt es seit Harry Holes Ausscheiden aus dem Dienst an einem Spezialisten für Serientäter. Hole, obwohl mittlerweile als freischaffender Dozent an der Polizeihochschule tätig, wird mit einer astreinen Erpressung zurückgeholt. Man droht ihm, die Drogenvergangenheit seines Stiefsohns an Licht zu zerren, und damit dessen berufliche Zukunft zu gefährden. Harry schützt diejenigen, die er liebt, und so lässt er sich zähneknirschend auf diesen Handel ein. Die Jagd kann beginnen!

Seit „Koma“, dem zehnten Band der Harry Hole-Reihe des Autors Jo Nesbø, sind vier Jahre vergangen, und nun gibt es endlich wieder Nachschub. „Durst“, so der Titel des aktuellen Thrillers mit dem norwegischen Kultkommissar, muss allerdings von Seiten der Kritik einige harsche Schläge einstecken. Der von mir sehr geschätzte Denis Scheck nannte das Buch „geistiges Ödland von bemerkenswerter Tristesse“, wobei ich mich dieser Einschätzung allerdings nicht anschließen mag. Natürlich kann man argumentieren, dass die Beschreibungen der Mordszenarien durch einen Killer, der seine Opfer durch Aufreißen der Halsschlagader mit einem Eisengebiss tötet und sich deren Blut einverleibt, übermäßig brutal sind. Aber Nesbø schreibt keine Häkelkrimis, genau so wenig wie Splatter-/Horrorthriller, auch wenn manche Szenen in „Durst“ diese Assoziation durchaus zulassen. Für ihn, ebenso für mich als Leser, steht nicht der „Geil-auf-Gewalt-Stuss“ (lt. Scheck) im Fokus, sondern die Zerissenheit des Protagonisten, der von der Mörderjagd die Nase voll und seiner Frau auch das Versprechen gegeben hat, der Polizeiarbeit fernzubleiben. Weil die Ermittlungen ihn in seinem tiefsten Innern berühren, ihn verletzen. Nicht umsonst ist er Alkoholiker, meistens trocken. Hole giert nicht nach Anerkennung, er macht das, was er am besten kann, was seine Bestimmung ist, nämlich Mörder dingfest machen.

Der Plot ist stimmig, gut aufgebaut, die Dialoge kurz und lakonisch, wobei immer wieder der trockene Humor des Autors aufblitzt. Der einzige Kritikpunkt, den ich habe, sind die Klischees, die Nesbø bei der Charakterisierung seiner Nebenfiguren verbrät. Eine penetrant schnüffelnde Reporterin und ein Vorgesetzter, der sein Mäntelchen nach jedem Windstoss neu ausrichtet, der seinem persönlichen Fortkommen dient, sind so neu ja nun auch wieder nicht.

Der Fortgang der Handlung ist durchgehend spannend, dafür sorgen schon jede Menge Finten und Cliffhanger. Und natürlich werden auch die persönlichen Beziehungen der Personen weiterentwickelt, was wahrscheinlich aber nur Leser entsprechend würdigen können, die Harry Hole über die Jahre begleitet haben.