Rezension

Blutiger Slapstick!

Das verrückte Tagebuch des Henry Shackleford - James McBride

Das verrückte Tagebuch des Henry Shackleford
von James McBride

Bewertet mit 5 Sternen

Wenn man sich für Geschichte interessiert und gleichzeitig witzig unterhalten werden will, ist man hier richtig!

James McBride hat mit „The Good Lord Bird“, zu deutsch „Das verrückte Tagebuch des Henry Shackleford“, den National Book Award 2013 abgeräumt. Eine längere Wegstrecke Lesezeit war mir unklar, wieso. Doch allmählich ging mir ein Licht auf. Dieser scheinbare Schelmenroman ist historisch wertvolle Lektüre!

Denn, was in den Staaten wahrscheinlich jedes Kind weiß, wusste ich noch lange nicht, dass nämlich die mittelbare Heldenfigur des Buches, Old John Brown, keineswegs eine Art John Smith ist, also beliebig, sondern eine historische Figur, die 1859 mit einem tollkühnen Angriff auf Harpers Ferry, Virginia, einem Waffendepot der Eisenbahner, einen Meilenstein legte zum im Jahr darauf ausbrechenden Sezessionskrieg. Wie ich ausserbuchmäßig recherchierte, hat sich der Autor James McBride insoweit eng an die historische Vorlage gehalten.

Aber was der Autor daraus gemacht hat! Unglaublich! Nämlich einen blutigen Slapstick über die Vorzeit des Civil War. Dazu schickt er Henry ins Rennen, einen zwölfjährigen schwarzen Lausebengel , der Beobachter und Erzähler zugleich ist, er kommt vom Regen in die Traufe, erinnert an Huckleberry Finn und in der Tat gibt es einige literarische Anspielungen auf Mark Twain, nicht zuletzt in der klamottenmäßigen Art des Erzählens, die indess nicht den luftigen Humor Twains wiederholt, der die Sklaverei nur ironisch aufs Korn nimmt, sondern eine blutige Spur hinter sich her zieht.

Dazu passt, dass der echte John Brown vom diplomatischen Bemühen seines Landes gegen die Sklaverei nicht viel hielt und sagte: "These men are all talk. What we need is action, action!” (Quelle: James Fork Rhodes). Er griff lieber zu den Waffen. So wird er in der Literatur auch als einer der ersten Terroristen wahrgenommen. Und auch in McBrides Roman wird seine Figur nicht ganz transparent: wahnsinnig oder heldenhaft.

Henry, versklavt in Kansas, mit wenig Bildung versehen, gerät durch blutigen Zufall in die Gesellschaft des illustren Herrn John Brown, der hehre Absichten hat und die Schwarzen aus der Sklaverei befreien möchte, weil dies sein Auftrag ist, was Gott himself ihm nämlich verkündet hat. Und John Brown ist dessen ergebenes Werkzeug. In völligem Gottvertrauen, mehrstündigen, verrückten Gebetsanfällen, Kampfeswillen und Kampferfahrung, Kaltblütigkeit und viel Mut, aber dennoch immer wieder herrlich plumper Manier, säumen längs der göttlichen Mission Leichen seinen Weg. Henry, ehedem völlig zufrieden mit seinem Dasein, als er es warm hatte, als Master und Pa zur Verfügung standen, wo er geprügelt, aber auch gefüttert wurde, klagt darüber, Hunger und Durst erst in der „Freiheit“ kennengelernt zu haben, und sinnt zunächst nur darauf, wie er ohne etwas zu riskieren, in sein früheres relativ bequemes Leben, zurückkehren kann. Statt dessen gerät er immer weiter ins Schlammassel, das John Brown nämlich anzieht wie der Kuhfladen die Schmeißfliegen. Dennoch imponieren ihm die Gelassenheit des alten Haudegens gegenüber dem Tod, dessen fromme Hingabe wie auch die Opfer, die John Brown der Sache bringt. Und er profitiert auch von ihm, erweitert seinen Horizont, bildet sich eine eigene Meinung, lernt lesen und lieben. Dennoch bleibt Henry immer Schlitzohr Henry! Schließlich spitzt sich die Lage ein letztes Mal ernsthaft zu , Kugeln fliegen, Tote liegen überall herum, Geiseln werden genommen, eine Hundertschaft US-Armeesoldaten rückt an....

Das Lesen dieses Slapsticks über die Vorzeit des amerikanischen Civil War lässt einem manches Mal die Haare zu Berge stehen, man ist hin- und hergerissen zwischen Lachen und Aufheulen, man wünscht sich, alles wäre Klamauk, damit man nur darüber lachen kann. Im englischen Original erfreuen einen die bewusst grammatikalischen Verdrehungen und Verzerrungen und verzücken zahlreiche Alliterationen. Nachdem ich endlich begriffen hatte, auf welches historische Kleinod ich gestoßen war, wurde das Lesen immer schöner. Wäre aber alles erfunden, würde ich es gräßlich finden, truth be told, denn ich mag keine Schelmenromane.

Fazit: Ungewöhnlicher historischer Schelmenroman. Lesenswert auf dem Hintergrund der Zeitgeschichte.

Kategorie: Historischer Roman