Rezension

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Brillant erzählte Familiensaga, beruhend auf Tatsachen - großes Lesevergnügen

Das Lied der Störche - Ulrike Renk

Das Lied der Störche
von Ulrike Renk

Bewertet mit 5 Sternen

Ostpreußen 1920: Frederike wächst mit ihren Stiefgeschwistern aus der zweiten und dritten Ehe ihrer Mutter glücklich und unbeschwert auf einem Gut in der Nähe von Graudenz auf. Jedoch ist ihre Zukunft ungewiss, denn ihr Erbe ist nach dem großen Krieg verloren gegangen und obwohl ihr Stiefvater sie liebt und ihr zur Seite steht, hat sie weder Auskommen noch Mitgift. So entschließt sie sich, eine Schule für höhere Gutstöchter zu besuchen, um sich dort auf die Leitung eines Guts vorzubereiten. 1928, mit neunzehn Jahren, kehrt sie auf das Gut ihres Stiefvaters zurück. Dort trifft sie Ax von Stieglitz, den Sohn eines verstorbenen Freundes ihres Stiefvaters, wieder. Ax ist vierzehn Jahre älter als Frederike. Trotz des Altersunterschieds ist Frederike fasziniert von ihm und fühlt sich sehr geschmeichelt, als er ihr Aufmerksamkeit schenkt. Doch etwas scheint ihn davon abzuhalten, um Frederikes Hand anzuhalten.

B̲̲u̲̲c̲̲h̲̲a̲̲n̲̲f̲̲a̲̲n̲̲g̲̲
In der Nacht, in der Frederikes Stiefvater starb, hatte das Wolfsrudel auf dem Nachbargut geheult. An diese Nacht erinnerte sie sich auch jetzt noch - sechs Jahre später. … Damals waren sie nur zu Besuch auf dem Gut der Familie ihres Stiefvaters gewesen. Ab heute sollte das Gut der von Fennhusens offiziell ihr Zuhause werden.
Gut Fennhusen lag weit im Osten der Republik, von Berlin aus mit dem Zug musste man zwei mal umsteigen und dann mit Pferdestärken erreichbar. Hier war nun das neue Zuhause der elfjährigen Frederike von Weidenfels, ihren Halbgeschwistern Fritz und Gerta. Ihre Mutter hatte nach dem Verlust der ersten beiden Ehemänner nun ein drittes Mal geheiratet. Von Potsdam in die Provinz. Es war schon ein Unterschied, ob man nur zu den Ferien hier auf dem Gut war oder ab jetzt für immer. Das merkten die Kinder sehr schnell. Aber gut, dass es noch den Hund Hektor gab. Er "gehörte" Frederike, die man auch Freddy nannte.

Für den Gutsbetrieb ebenfalls eine Umstellung, denn im Haushalt hatte bislang die Mamsell das Sagen. Die ältere Schwester des Gutsbesitzers, Edeltraut, hatte durch den großen Krieg ihren Verlobten verloren und lebte fortan weiter auf dem Gut.
Schon von Anfang an bekommt der Leser einen klaren Blick in die damaligen Wohn- und Lebensumstände. Waschen, backen, kochen, Feuerholz machen, Vorräte anlegen … Die Kinder finden in der Köchin Meta Schneider eine herzensgute Frau, und so manches Mal etwas leckeres für sie übrig hat. Dann kommt der neue Hauslehrer, der von Beginn an nicht sonderlich gemocht wird. Vor allem auch seine Lehrmethoden. Alte Schule, wenig Herz, ein Kriegsveteran.
Die Familie ist erst kurze Zeit auf dem Gut, da macht sie Bekanntschaft mit Ax von Stieglitz, der Sohn eines verstorbenen Freundes des Stiefvaters. Dieser züchtet Trakehner für die Armee. Dies ist die erste Begegnung zwischen Frederike und Ax, und beide lieben Pferde. Hier auf dem Gut sieht Frederike sehr viel über das Führen eines solchen Haushalts. Und in Erik von Fennhausen hat sie einen liebevollen, wenn auch strengen Stiefvater. Doch er liebt sie genau wie die anderen Kinder und weitere, die da folgen. Die Unsicherheit ihrer Zukunft ist für Frederike jedoch immer präsent. Denn Freddy hat kein Erbe, dass sie antreten kann.
"Das Lied der Störche" beruht auf eine wahre Geschichte. Die Autorin hat vieles aus der Lebensgeschichte mit in ihren Roman einfließen lassen, wie geschehen, Namen geändert und vieles dazu erfunden. Auch wenn es hier hauptsächlich um Frederike geht, alle anderen Figuren werden authentisch dargestellt. Sie sind vielschichtig und lebendig gezeichnet, wodurch sich ein gutes Gesamtbild ergibt. Es ist, als wäre man über 100 Jahre zurück mitten im Geschehen, dem Leben der Familie Fennhusen drin. Auch das Aufwachsen der Kinder nachvollziehbar. Und man kann schon früh erkennen, dass Frederikes Mutter ihre Älteste gut verheiraten möchte. Auch wenn irgendetwas geheimnisvolles Ax von Steglitz umgibt. Die Autorin schreibt im flüssigen Erzählstil und lässt immer wieder den ostpreußischen Dialekt mit einfließen, so dass hier die Atmosphäre gut wieder gegeben ist.
Es gibt viele Passagen, wo der ostpreußische Dialekt wiedergegeben wird, dass man ihn direkt im Ohr hat. Mir ist die Sprache nicht unbekannt, von daher war das ein Aha-Erlebnis für mich.
Mit viel Liebe zum Detail, die intensiven Recherchen zur damaligen Zeit, machen den Roman wirklich zu etwas besonderem. Ein Familienroman, deren Handlung fesselnd geschrieben ist. Der erste Teil beginnt 1920 und Teil zwei beginnt 1928, als Frederike nach dem Abschluss auf der Gartenbauschule aus Bad Godesberg heimkehrt.
"Das Lied der Störche" findet im Herbst eine Fortsetzung, denn das Ende hier wirft Fragen auf.
In ihrem Nachwort gibt die Autorin noch Literaturtipps.
Ein wirklich sehr empfehlenswertes Buch. Alles, was einen zum Nachdenken anregt, ist lesenswert.