Rezension

Brisant, aktuell, gut - ein Krimi der aus der Reihe fällt

Grenzfall - Merle Kröger

Grenzfall
von Merle Kröger

Dieses Buch schlägt in die gleiche Kerbe, wie die letztens vorgestellte Graphic Novel ‘Im Land der Frühaufsteher’. Auch hier geht es um die Problematik von Asylsuchenden in Deutschland. Allerdings wird hier ein sehr dunkles Kapitel in den Vordergrund geholt. Basierend auf wahren Ereignissen entwirft Merle Kröger einen Krimi rund um die Geschehnisse in Rostock-Lichtenhagen, wo im Jahr 1992 ein Asylbewerberheim in Brand gesteckt wurde.

1992

Der erste Teil konzentriert sich auch auf das Jahr 1992 und berichtet aus Sicht eines ehemaligen Polizisten der Volkspolizei, der jetzt ‘Ost-Touristen’ auf sogenannte Jagdreisen als Führer begleitet, aus der Sicht von Marius, einem der Asylsuchenden, der in seiner alten Heimat war und nun über die grüne Grenze von Polen nach Deutschland zurück kommen will. Außerdem wird auch die Sicht des ‘Touristen’ dargestellt und die eines weiteren Flüchtlings, der mit dem eben genannten gemeinsam über die Grenze will.

Die beiden letzteren werden dann beim Grenzübertritt von den beiden Jägern erschossen, angeblich, weil man sie für Schwarzwild gehalten hat. Die Tochter von Marius, die gemeinsam mit einem Freund den Vater an der Grenze einsammeln wollte, kann nur unverrichteter Dinge wieder umkehren. Die beiden Toten liegen im Feld, der Rest der Grenzgänger verschwindet aus Angst wieder in Richtung Polen. Die Gruppe hatte die Jäger für Grenzpolizisten gehalten – wer sonst schießt auf Menschen an der Grenze?! Außerdem fuhren die beiden Jäger ein Auto, das aus alten Armeebeständen stammt, das macht dann den Anschein komplett.

2012

Im zweiten Teil nun sind wir im Jahr 2012. Die damals pubertierende Tochter von Marius beschließt nach Deutschland zu fahren, um den Mörder ihres Vaters zur Rechenschaft zu ziehen. Relativ schnell kommt sie auf die Spuren des Mannes, ihr Plan scheitert allerdings und sie landet in Untersuchungshaft. Der alte Hass droht wieder zu eskalieren im beschaulichen Mecklenburg-Vorpommern.

Es kommen jetzt im zweiten Teil noch andere Personen hinzu. Da ist die Pastorin, die damals ein recht enges Band zu den Menschen im Asylantenheim hatte. Ihr Mann ist kurz nach den Vorkommnissen verschwunden und sie hofft noch immer, dass er wiederkommt. Da ist immer noch der ehemalige DDR-Polizist, jetzt ein gebrochener Mann, Alkoholiker und so etwas wie der Geächtete des Dorfes. Der ehemalige Veranstalter der Jagdreisen ist gerade damit beschäftigt, Bürgermeister der kleinen Stadt an der Ostsee zu werden. Die härtesten Konkurrenten sind die Herren der NPD, wobei schnell klar wird, das beider Ansichten im Grunde nicht weit voneinander entfernt sind.
Außerdem kommen jetzt ein paar Figuren dazu, die wohl schon in vorhergehenden Werken Krögers auftauchten: Mattie Junghans und Nick Ostrowski. Sie ist eine Frau Ende der 30, ohne genauen Lebensplan, er ein mehr schlecht als recht erfolgreicher Journalist, der gerade am Aufbau einer gut bürgerlichen Familie ist.

Diese beiden geraten über Umwege in die Geschichte hinein und versuchen nun der jungen Frau im Gefängnis zu helfen. Für Mattie geht es dabei von Berlin an die Ostsee, nach Rumänien und zurück. Nick beschränkt sich auf den Balanceakt Berlin-Ostsee mit einer leicht hysterischen Ehefrau im Nacken und einem namenlosen Hund an der Hacke.

Das Geschehen wird tageweise erzählt, die Perspektive springt hin und her zwischen den verschiedenen Figuren, allerdings verliert man nie den Überblick. Und das, obwohl die von mir aufgezählten noch längst nicht alle sind. Jeder dieser Charaktere, das ahnt man, könnte mit seiner Geschichte auch locker ein eigenes Buch füllen (einer tut es in gewisser Weise auch).
Das Ganze macht einfach Sinn, jede der vielen Figuren hat ihre Berechtigung und am Ende ist das Gesamtbild einfach stimmig.
Vor allem, da hier nicht nur die Geschichte von Einzelpersonen erzählt wird, sondern auch ein Stück europäische Geschichte, ein Stück deutsch-deutscher Geschichte. Und gleichzeitig kann man sich ein Bild vom Leben von Wanderarbeitern im heutigen Europa machen. Ebenso wie davon, dass in manchen Ecken die Menschen einfach irgendwo in der Vergangenheit stecken geblieben sind.

Ein spannend zu lesender Krimi, der aus dem Rahmen fällt, der aus der Masse heraus strahlt. Der Deutsche Krimipreis 2013 ist mehr als verdient.

Ein politisches Buch, ein aktuelles Buch, ein brisantes Buch, ein großartiges Buch! So soll ein Krimi mit Anspruch aussehen!