Rezension

Brisanter Roman mit politisch aktueller Thematik, der mit einigen erzähltechnischen Schwächen zu kämpfen hat.

Gott ist nicht schüchtern - Olga Grjasnowa

Gott ist nicht schüchtern
von Olga Grjasnowa

Die in Aserbaidschan geborene Schriftstellerin Olga Grjasnowa kam 1996 nach Hessen. Sie studierte u.a. am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig „Literarisches Schreiben“ und erwarb dort ihren Bachelor. 2012 erschien ihr Romandebüt unter dem Titel „Der Russe ist einer, der Birken liebt“. Aufgrund der politisch thematischen Aktualität ihrer Werke wurde an unserer Schule eine Lesung mit der Bestsellerautorin veranstaltet, in der sie ihr neuestes Buch „Gott ist nicht schüchtern“ präsentieren durfte. Aufgrund der aufrüttelnden Realitätsebene und einigen interessanten inhaltlichen Ansätzen im anschließenden Fragegespräch entschied ich mich für den Kauf der signierten Lektüre. Ob ich diese Entscheidung nachträglich bereue, erfährst du in der folgenden Rezension.

 

Amal und Hammoudi sind zwei junge Protagonisten, die der syrischen Oberschicht der Stadt Damaskus entstammen. Das Lesepublikum verfolgt die Handlungsstränge beider Figuren mit, die sich konstant parallel zueinander entwickeln und nur vereinzelt schneiden. Sie sind überzeugte Anhänger der Revolution gegen die Regierung und den diktatorischen Präsidenten Baschar al-Assad und geraten somit in das Visier des Geheimdiensts.

 

Grjasnowa rückt die realitätsferne Ebene Syrien in den Fokus dieses Unterhaltungsromans und ermöglicht ihren Lesern einen Empathie weckenden Einblick in die Lebenssituation der jungen Charaktere. Dass sie ihre umfassende Figurenhandlung in dieses sozial-ethische Korsett gießt und das Interesse der Leserschaft auf die dort herrschenden Umstände lenkt, erscheint mir hier mehrerer lobenden Worte wert.

 

Kritik äußert die Autorin nur unterschwellig; sie berichtet neutral die Geschichte aus neutraler Perspektive. Und hier entpuppt sich gleich die größte Schwäche des Romans, mit der viel Wind aus den Segeln genommen und Potenzial geraubt wird: Die Figurenausarbeitung in „Gott ist nicht schüchtern“ führt völlig ins Leere. Ich hatte bis zum Ende der Lektüre nicht das Gefühl, in das Innenleben der Personen eingetaucht zu sein oder in ihren inneren Konflikten zur Seite stehen gekonnt zu haben. Sie sind in dem Maße verschlossen, dass ihre Motivationen nur skizzenhaft angerissen sind und sich ihre Entscheidungen sich als sprunghaft, teilweise sogar unverständlich herausstellen; eine deutliche innere charakterliche Entwicklung ist über die Spannweite der Handlung nicht erkennbar. Das störte mich während dem Lesen immens und nimmt dem Roman seine tragende Kraft, da er durch seine flach bleibenden, hüllenleeren Charaktere leider oftmals in die Belanglosigkeit abzudriften droht.

 

Wo die Tragweite des unterdrückenden Regimes hingegen besonders deutlich wird, sind die expliziten Gewaltszenen, die in „Gott ist nicht schüchtern“ durchaus vorkommen. Hier fängt die Autorin gelungen eine aussichtslos einschüchternde, beklemmende Atmosphäre ein, die im Leser Mitgefühl auslöst und die aufgegriffene Wut gegenüber der Obrigkeit legitimiert. Grjasnowa zeigt durch diese angespitzte Ausarbeitung ihre eigene Einstellung gegenüber dem politischen System in Syrien, kann diese inhaltliche Stärke jedoch nicht durchgehend beibehalten.

 

Sie behält größtenteils ein gelungenes Gleichgewicht zwischen Unterhaltung und Literatur, die den Menschen die Augen öffnen und wachrütteln möchte. Einen wirklichen Spannungsbogen gibt es jedoch nicht; es gleicht eher einem phasenweise anschwellenden Dynamikanstieg und –fall, der den Handlungsfortschritt teilweise etwas schleppend macht. Grjasnowa hat, und das kann man ihr nicht vorwerfen, durchgängig ein klares Ziel vor Augen, das durch den Klappentext bereits vorweggenommen wird. So brilliert sie vor allem gut im letzten Drittel, in der sie die Flucht aus Syrien schildert und für den Leser bildhaft zumindest im Ansatz begreifbar macht. Und da muss man sich erst einmal bewusst machen, dass es die beiden Hauptfiguren durch ihre vorhergegebene finanzielle Herkunft verhältnismäßig gut erwischt hat.

 

Trotz des spannungsarmen Schreibstils und der vernachlässigten Figurengestaltung möchte ich mögliche Interessenten am Roman „Gott ist nicht schüchtern“ (dessen Titel übrigens hervorragend gewählt wurde) nicht vergraulen. Denn bietet es einen interessanten Blick in ein politisch brisantes Ressort und arbeitet mit schonungslosen Bildern, die den Leser gefangen halten und Empathie wecken.

 

„Gott ist nicht schüchtern“ ist ein brisanter Roman mit politisch aktueller Thematik, der mit einigen erzähltechnischen Schwächen zu kämpfen hat.

 

Deswegen möchte ich gerne drei von fünf möglichen Sternen vergeben.