Rezension

Buchhandlungen als Treffpunkt exzentrischer Menschen und Brutstätte subversiver Ideen

Vom Glück zu lesen -

Vom Glück zu lesen
von Martin Latham

Bewertet mit 5 Sternen

Martin Latham, als Leiter der Waterstones Filiale in Cambridge buchhändlerisches Urgestein, war nach einem wissenschaftlichen Studium im Buchhandel Quereinsteiger. Vermutlich aus der eigenen Biografie heraus zeigte er ein besonderes Händchen dafür, Kollegen mit herausragendem Spezialwissen einzustellen, die ihn selbst nach Jahrzehnten im Buchhandel immer noch verblüffen können. Wer hätte auch ahnen können, dass David Mitchell aus der Belletristik-Abteilung heute weltberühmter Autor sein würde … Latham legt seine Kulturgeschichte des Buches und der Bibliomanie weiter an, als ich von einem „Buchhändler-Buch“ erwartet hätte. Zunächst befasst er sich mit der Einzigartigkeit und der Trostfunktion von Büchern für  einzelne Leser. In der Suchthaftigkeit des Lesens, oft seit früher Kindheit, wie auch in der Eichhörnchenhaftigkeit, von einem begonnenen Buch möglichst lange etwas haben zu wollen, werden sich  leidenschaftliche Leser wiederfinden können. Zur Leserpersönlichkeit bietet Latham einen Rückblick auf lesende Frauen und Mäzeninnen von Bibliotheken wie Christine de Pizan, Margarete von Navarra und Lady Anne Clifford. Über Jahrhunderte hinweg galten Frauen als Leserinnen für ebenso  gefährlich wie auf einem Hochrad oder in Hosen gekleidet, weil Bücher ihnen Zugang zu Wissen, geistiger Freiheit und ihrem eigenen Körper vermittelten und nicht selten ihre Forderung nach demokratischen Rechten befeuerten. Latham ist überzeugt davon, „chapbooks“, kurze oder gekürzte Romane des Ritter- und Prinzessinnengenres seien für breite Bevölkerungsschichten Einstiegsdroge ins Lesen gewesen und hätten langfristig zum gesellschaftlichen Wandel beigetragen.

Für den leidenschaftlichen Buchhändler Latham ist Buchhandel offenbar ein Marktplatz für die Ware Buch, aber auch für Geschichten, die durch erfahrene Buchhändler an passende Leser vermittelt werden. Lathams Blick als Kaufmann und als Lesesüchtiger führt uns zurück in die Geschichte des Buchdrucks, zu legendären Bibliotheken und zur Macht des katalogisierenden Bibliothekars, der brisante Themen in einer Bibliothekssystematik in den Vordergrund stellen oder in der Versenkung verschwinden lassen kann. Mit Blick auf Venedig, Paris, Lyon und New York als historische Zentren des Buchhandels demonstriert Latham, wie Flucht und Migration bereits im 19. Jahrhundert zu  kultureller Vielfalt und blühendem Handel beitrugen.

Anekdoten aus dem Alltag eines Buchhändlers finden sich bei Martin Latham auch, wenn er von Kunden, Kindern, Kollegen, Katzen und Spinnen berichtet, seine Stärke ist jedoch, Buchhandlungen als Treffpunkt exzentrischer Menschen und Brutstätte subversiver Ideen zu zeigen.