Rezension

Buchtipp | Mai: Ein atmosphärischer Reihenauftakt mit Golden-20s-Flair

The Diviners - Aller Anfang ist böse - Libba Bray

The Diviners - Aller Anfang ist böse
von Libba Bray

Libba Bray – der Name sagte mir bisher noch nichts, obwohl sie im dtv Verlag bereits erfolgreich ihre Trilogie »Der geheime Zirkel« veröffentlicht hat. Meine Erwartungen an Setting und Charaktere waren nach der Leseprobe doch recht groß. Ich war wahnsinnig gespannt, ob Libba Bray meine Erwartungen erfüllen konnte. Nachdem ich das Buch gestern beendet habe, kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass sie erfolgreich war – mit einigen wenigen Abstrichen.

Die Story nahm zunächst gemächlich Fahrt auf. Wir befinden uns auf einer Party in Manhattan, ein Ouijabrett spielt dort ebenso eine Rolle wie diese schaurige gepfiffene Melodie, die der Wind durch die Nacht trägt…

“Naughty John, Naughty John, does his work with his apron on. Cuts your throat and takes your bones, sells ’em off for a coupla stones.”

Schon im nächsten Moment zog mich die Handlung mitten ins atmosphärische New York der 20er Jahre, in die Zeit der Prohibition, als Alkohol heimlich in versteckten Flüsterkneipen genossen wurde, während sich selbstbewusste Flapper mit frechen Kurzhaarfrisuren, schillernden Partykleidern und einer Zigarette zwischen den manikürten Fingern zu rhythmischen Jazzklängen über das Parkett bewegten. Ich glaubte beinahe, die Musik hören und den rauchgeschwängerten Dunst der Kneipe einatmen zu können, so farbenfroh schrieb sich Libba Bray direkt in meine Sinne. Es ist unglaublich, wie intensiv die Autorin die Stimmung der goldenen 20er Jahre zu transportieren vermochte, als ob man selbst in die Zeit zurückversetzt wird. Beeindruckend, wie sie es dann wirklich über 700 Seiten lang schaffte, diese mystische, gruselige und äußerst spannende Atmosphäre aufrecht zu erhalten und – das darf man nicht vergessen – beabsichtigt, diese Stimmung in noch drei weitere Bücher mitzunehmen. Ob das funktioniert, wird man spätestens am 20. November 2015 erfahren, wenn der zweite Band namens »The Diviners: Die dunklen Schatten der Träume« erscheint.

“Onkel Will zog ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und reinigte seine Brillengläser. »Es gibt mehr Ding’ in Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumt, Horatio«, sagte er […]. »Dieses Zitat stammt von William Shakespeare, dem nicht nur das Menschliche, sondern auch das Übernatürliche nicht ganz unvertraut gewesen zu sein scheint.” – Seite 62

Der Spannungsbogen trat schließlich mit steigendem Druck auf das erzählerische Gaspedal und schockierte mit einer Reihe grausamer Morde, welche nach und nach Hinweise auf die grausamen Beweggründe lieferten. Da die Perspektive zwischendurch zum wahrlich gruseligen Widersacher wechselt, konnte ich bereits vor der Protagonistin 1+1 zusammen zählen, ließ mich aber dennoch von der Raffinesse der Autorin ein ums andere Mal in die Irre führen. Von Kapitel zu Kapitel wird der Spannungsfaden straffer gespannt, die Atmosphäre wird zunehmend düsterer, unheimlicher, bedrohlicher und gipfelt schließlich in einer den ersten Band befriedigend abschließenden Auflösung. Ihr müsst also keine Sorge vor heftigen Cliffhangern haben. Das Ende knüpft allerdings bereits einen weiteren Handlungsfaden an, der mit Sicherheit in Band 2 weitergesponnen wird.

Sehr gut recherchiert.

Die in New York lebende Autorin, die schon als Kind eine Vorliebe für gruselige Geschichten hegte, hatte mich mit ihrer Idee, ihrer ausschmückenden Schreibe und der absolut faszinierenden räumlichen wie zeitlichen Kulisse ganz schnell am Haken. Sie hat ein Faible dafür, Orte und Stimmung sehr ausschweifend zu umschreiben und nimmt sich dafür auch gern seitenweise Zeit. Dieser Aspekt im Zusammenspiel mit dem Umfang dieses Wälzers mag zunächst abschreckend wirken, doch sorgt gerade diese Kombination für die einzigartige mystisch angehauchte Atmosphäre, die mich unaufhörlich zwischen die Seiten zog und für reichlich Gänsehaut sorgte. 

Sie hat sehr ausführlich recherchiert, was sie auch in ihrem Nachwort bekräftigt. Sie lässt dabei die Grenze zwischen realen und fiktiven Schauplätzen verschmelzen und würzt ihre Geschichte mit einer ordentlichen Prise Paranormalität. Stellenweise fühlte ich mich von der Informationsdichte beinahe ein wenig erschlagen, zumal die Erzählperspektive sogar innerhalb eines Kapitels plötzlich zu anderen Charakteren wechselte. Es dauerte ein Weilchen, bis ich die wichtigsten Namen im Kopf hatte und sie einzuordnen wusste. Während manche Figuren als schmückendes Beiwerk zu dienen schienen, hatte ich bei anderen das Gefühl, dass ihre Geschichte mit diesem Buch noch nicht abgeschlossen ist. Vielleicht möchte Libba Bray diesen Personen in den Folgebänden noch tiefere Bedeutung verleihen, das würde diese Appetithäppchen zumindest erklären.

Nichts desto trotz war die Einbindung dieser zahlreichen Nebencharaktere sehr abwechslungsreich und unterhaltsam, denn ein jeder trug seine ganz eigenen Geheimnisse mit sich herum oder kämpfte mit sozialen Umständen und Abhängigkeiten. Dennoch rückten die meisten angesichts des Glamours der Protagonistin verblassend in den Hintergrund. Ich wünsche mir für mindestens eine Figur eine herausragende Rolle in den kommenden Büchern – mal abwarten, ob mein Wunsch erfüllt wird.

Im Kontrast zu diesem umfangreichen Nebenfigurenpool steht eine junge willensstarke, intelligente und rebellische Protagonistin namens Evie, die aus dem Schatten ihrer Rolle als Tochter einer gesellschaftlich angesehenen Familie heraus brechen und ihren eigenen Weg gehen, und vor allem ihre Fähigkeiten nicht verstecken möchte. Sie möchte nicht die brave Tochter sein, die bestenfalls noch gut einheiraten wird, sondern hat ihren ganz eigenen (Dick)kopf, den sie auch recht ungestüm durchzusetzen weiß. Die junge Dame trug ihr Herz auf der Zunge, auch wenn sie damit desöfteren aneckte. Es war interessant, ihre Entwicklung zu einer mutigen jungen Frau zu verfolgen, auch wenn sie zeitweise doch recht egoistisch wirkte. Dennoch lernt sie ihre Fähigkeit (und oft genug auch ihre weiblichen Vorzüge) im richtigen Moment (charmant) einzusetzen und in kritischen Situationen einen klaren Kopf zu bewahren, was angesichts ihres gefährlichen Gegenspielers nicht immer einfach, doch dringend notwendig war. Eine sehr gelungene, authentisch dargestellte Figur!

Wo wir gerade beim Thema Bösartigkeit sind: Die goldenen Zwanziger Jahre standen nicht nur für Flapper in schillernden Gewändern, “gesunden” Zigaretten oder Emanzipation. Hinter den Kulissen feiner Häuser verbarg sich das Böse zum Beispiel auch in Gestalt rassistischen Gedankenguts. 1921 fand in New York beispielsweise der zweite Eugenik-Kongress statt, eine Bewegung, die Fortpflanzung “defekter Rassen” verhindern wollte. Libba Bray hat tief in den Archiven gegraben, denn das Thema findet sich auch im Buch wieder; eine Stelle, die mich zutiefst schockiert hat. Der Begriff Eugenik stammt aus dem Griechischen bedeutet nichts anderes als “gutes Gen”. Ich muss wohl nicht weiter ausführen, wohin diese vermeintliche “Lehre” Mitte des vergangenen Jahrhunderts geführt hat.

Informationen zur Reihe:
→ Band #1 The Diviners: Aller Anfang ist böse
→ Band #2 The Diviners: Die dunklen Schatten der Träume
→ Band #3 ?
→ Band #4 ?

Mein Fazit: Libba Bray hat mit »The Diviners: Aller Anfang ist Böse« den soliden Grundstein für eine unglaublich atmosphärische Reihe gelegt, der mich mitten ins schillernde New York der goldenen Zwanziger Jahre entführte und auf seinen 700 Seiten ein immer dichter werdendes Netz aus intensiver Spannung, fantastischem Flair, Horrorelementen und düsteren Geistererscheinungen strickte. Trotz einiger Längen konnte mich die Autorin sehr gut unterhalten und schürt große Vorfreude auf die Fortsetzung im Herbst. Wer sich gemeinsam mit einer starken, intelligenten Hauptfigur auf mörderische Spurensuche in einer faszinierenden Epoche begeben möchte, kein Problem mit zahlreichen Perspektivenwechseln und ein Faible für gruselige, unterhaltsame Storys hat, dem sei dieses Jugendbuch von Herzen empfohlen. Ich freue mich sehr auf die Fortsetzung!

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