Rezension

Bücher sind Freunde

Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek - David Whitehouse

Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek
von David Whitehouse

Bewertet mit 5 Sternen

Der zwölfjährige Bobby Nusku lebt wahrlich nicht auf der Sonnenseite des Lebens: von den Mitschülern gemobbt, lebt er bei seinem vernachlässigenden Vater und seiner wasserstoffblonden Freundin, da seine Mutter verschwunden ist. Für sie archiviert Bobby Details aus seinem Leben und sammelt gleichzeitig die Andenken, die noch an seine Mutter in der Wohnung erinnern. Gerade als sein Freund und selbsternannter Bodyguard Sunny die nächste Stufe der Umwandlung zum Cyborg gemeistert hat, ist er plötzlich mitsamt seiner Mutter umgezogen. Bobby freundet sich zufällig mit der behinderten Rosa und ihrer Mutter Val an, die den örtlichen Bücherbus putzt. Als Bobby einmal bei den beiden Zuflucht sucht, nachdem sein Vater ihn verprügelt hat, ergreift Val mit ihm und Rosa die Flucht – im Bücherbus, mit jeder Menge Büchern im Gepäck.

Der Charme, den David Whitehouses Roman verbreitet, war für mich zunächst nicht offensichtlich, er begann vielmehr mit dem „Ende“, was mich nur mäßig neugierig machte. Am Schluss fügte sich alles wie ein Guss zusammen, als mir klar wurde, wie die „Kindergeschichte“ in cleveren Details in die Kapitel eingebracht wurde. So viel Liebe zum Detail habe ich noch nicht oft gesehen und meine Begeisterung ist nochmals gestiegen.

Die Charaktere Bobby, Sunny, Rosa und Val und später auch Joe, sind alle soziale Außenseiter, Bobbys „Familie“ gehört eher der Unterschicht an. Ich lese Romane über solche Charaktere gerne und der Autor hat auch hier mit der Beschreibung von Vernachlässigung, Mobbing und häuslicher Gewalt ins Schwarze getroffen. Auch die Beschreibung von Sunnys Plänen, ein Cyborg zu werden, um Bobby besser beschützen zu können, fand ich ziemlich krass.

Ein großer Pluspunkt des Romans sind die zahlreichen, meist unerwarteten Wendungen, die mich immer positiv überraschten. So wie der Bücherbus um die Kurven der Landstraße rauscht, konnte man auch beim Lesen immer wieder neue Blickwinkel und Wendungen genießen. Das hat David Whitehouse großartig gemacht.

Der Aspekt der Bücher und des Lesens wurde zwischendurch immer wieder eingebracht. Während Bücher für die „Reisenden“ Freunde und Stärkung sind, ist das Hauptthema doch das Finden und der Zusammenhalt einer „Familie“, die offiziell keine ist. Liebe und Freundschaft findet man oft an den ungewöhnlichsten Orten, das macht der Autor hier wunderbar deutlich.

Oft sind für mich jene Bücher, die sich erst langsam in mein Leserherz schleichen diejenigen, die mich zuletzt am meisten begeisterten und noch lange in Erinnerung bleiben werden. „Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek“ zählt definitiv dazu.