Rezension

Charisma und Widersprüchlichkeit

Winston Churchill - Thomas Kielinger

Winston Churchill
von Thomas Kielinger

Bewertet mit 4 Sternen

»Die einzige Art und Weise, wie der Mensch unter wechselnden Umständen beständig bleiben kann, … ist, sich mit ihnen zu wandeln und doch seinem beherrschenden Sinn und Zweck treu zu bleiben.«

Den Namen Winston Churchill kennt vermutlich jeder, hat er doch in beiden Weltkriegen eine bedeutende Rolle gespielt und gilt als der bedeutendste britische Staatsmann des 20. Jahrhunderts. In diesem Buch stellt Thomas Kielinger nicht nur die wichtigsten Stationen seines langen Lebens vor, sondern präsentiert auch eine Reihe interessanter Dinge, die vielleicht nicht jedem bekannt waren und die geeignet sind, sich der faszinierenden Persönlichkeit Churchills neu zu nähern.

Der Autor berichtet seit 1998 für „Die Welt“ aus London und wurde für seine journalistischen Beiträge vielfach ausgezeichnet.

 

Dieses Buch hat mich von Anfang an gefesselt. Thomas Kielinger schreibt in einem leicht verständlichen Stil, der nie langweilig wirkt und von Anfang an neugierig macht – selbst, wenn man die geschichtlichen Rahmenbedingungen (natürlich) kennt.

 

Churchill war ein Mann mit vielen Begabungen. Das Schreiben lag ihm besonders im Blut, mit seinen Verdiensten als Autor finanzierte er seinen opulenten Lebensstil und 1953 erhielt er sogar den Nobelpreis für Literatur. Sein Talent zum Schreiben floss auch in seine Reden ein, die teils zu echten Klassikern wurden.

Auch die Malerei hatte eine große Bedeutung für ihn, in Zeiten, in denen seine latent bipolare Veranlagung ihm zu schaffen machte, war sie sein Rettungsanker.

Was ihn ferner auszeichnete, war ein fabelhaftes Gedächtnis – und zwar bis ins hohe Alter hinein.

Und wie war das mit „no sports“? Nach der Lektüre dieses Buchs ist man schlauer und ahnt, dass es sich bei dieser Aussage erneut um eins von Churchills Spielen mit dem öffentlichen Image gehandelt haben muss.

 

Im Gegensatz zu anderen Biographien hält der Autor sich nicht lange mit Kindheit und Jugend auf, gerade lange genug, damit der Leser erkennen kann, wie sich gewisse Charakterzüge schon früh abzeichneten, wie er sich mit „eisernem Willen“ schon gegen seine Lehrer behauptete. Den Hauptteil nimmt zu recht sein politisches Schaffen ein, schließlich geht es hier um einen Mann, der mit 25 Jahren bereits ins Unterhaus gewählt wurde und der in den folgenden Jahrzehnten nahezu jedes Ministeramt des Landes bekleiden sollte und zweimal Premierminister wurde.

 

Was für mich beim Lesen besonders deutlich wurde, waren zwei Dinge. Zum einen das ungeheure Charisma, mit dem es Churchill gelang, Gegner und Anhänger zu beeindrucken. Und zum anderen eine enorme Widersprüchlichkeit, die sich durch sein ganzes Leben zieht und mir ziemlich zu denken gab.

Beispiele? Er liebte Luxus und Bequemlichkeit, unterwarf sich aber mit schöner Regelmäßigkeit großen Mutproben und Unannehmlichkeiten. Für den Krieg empfand er gleichermaßen Faszination und Abscheu. 1920 befürwortete er Senfgaseinsätze in Mesopotamien, um ein Jahr später scharfe Rügen zu verteilen wegen eines Vorfalls, bei dem Frauen und Kinder angegriffen wurden. Obwohl er selbst aus Adelskreisen stammte, agierte er als Sozialreformer. Der spätere Kriegsminister forderte in früheren Jahren Kosteneinsparungen beim Militär zur Finanzierung sozialpolitischer Programme. Bei Streiks, Ausständen und Arbeitskämpfen wendete sich das Blatt erneut, da war er bereit, schwere Geschütze aufzufahren, um „nationale Gefahren“ abzuwenden. Und welcher Politiker konnte so erfolgreich sein, obwohl er einen doppelten Parteienwechsel vollzogen hatte?

Wie konnte ein Mensch, der wegen offener Worte immer wieder aneckte und von dem es hieß, dass er eine „Verachtung für jedes Sichverstellen“ hätte, so oft seine Positionen und Ansichten ändern?

Thomas Kielinger nennt diese Aufarbeitung eine »Spurensuche in einem Leben voller Gegensätze«. Hochinteressant!

 

Die Aufteilung der einzelnen Kapitel und Unterkapitel ist sehr gut strukturiert und übersichtlich. Der Leser erlebt durch die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hindurch viele wichtige politische Etappen mit, wobei der Fokus natürlich auf Churchills Beteiligung liegt. Die eingefügten Fotos passten ebenfalls gut und gefielen mir sehr. Interessant fand ich auch einen Link zu dem Gesprächsprotokoll einer Besprechung zwischen Churchill und Adenauer aus dem Jahr 1953. Die Unsicherheit, die man bei Adenauer wahrnehmen kann, konnte ich recht gut nachvollziehen.

Was mir nicht so gefiel und folglich auch zum Punktabzug führte, war die für mein Empfinden doch zu große Verehrung, die der Autor Churchill entgegenbringt. Einige Formulierungen haben mich da doch etwas befremdet und ich hätte mir mehr Neutralität gewünscht.

 

Fazit: Hochinteressantes Porträt einer faszinierenden Persönlichkeit voller Charisma und Widersprüchlichkeiten.