Rezension

Chile literarisch

Die Straße zum 10. Juli
von Nona Fernández

Dieses Buch erhielt ich im Zuge meiner neuen Mitgliedschaft im "Anderen Literaturclub", ohne diesen wäre ich wohl nie auf dieses Werk aufmerksam gemacht worden. Da wäre mir tatsächlich etwas entgangen.

"Die Strasse zum 10. Juli" ist anders und speziell. Südamerikanische Autoren tröpfeln immer wieder auf unseren Buchmarkt, aber eben - sie tröpfeln. Man kennt einige grosse Namen (Marquez, Llosa, Borges). Deshalb habe ich mich für den "Anderen Literaturclub" angemeldet und es definitiv nicht bereut!

Fernández bedient sich eines angenehmen Erzähltempos, das nichts übereilt. Dabei klingt ihre Sprache in der Übersetzung von Anna Gentz angenehm nach. Obwohl die Autorin keine leichten Schicksale erzählt, kommt an keiner Stelle klebriges Selbstmitleid zum Zuge. Die Figuren verhalten sich entsprechend ihren Charakterzügen und Erfahrungen.

Die Geschichte ist in unterschiedlichen Stilen geschrieben, als Leser muss man sich an einigen Stellen neu orientieren. Dies ist ein interessanter Schachzug Fernández' - der Stil passt sich der Handlung an, ist wandelbar und erneuert sich. Zu Beginn erzählt Juan, dann Greta, um dann zu einem E-Mail-Roman zu werden und schlussendlich bekommen wir noch eine Prise Magischen Realismus.

Auch die Erinnerungen aus der Jugendzeit Juans und Gretas tauchen immer wieder auf, sie verbinden diese zwei Menschen quer durch alle Jahre hindurch, bilden den Grundstock für dieses Buch. Auch hier erzählt Fernández fast gefühllos, aber welche Gefühle sind schon angebracht, wenn man von solchen Ereignissen erzählt? Ihr Erzählfluss trägt uns weiter, wieder in die Gegenwart, um später noch einmal zurückzukehren.

Es war eine äusserst beeindruckende Lektüre, die mich durch ihre Andersartigkeit gefesselt hat. Bekannte Motive werden aufgegriffen, aber zumindest für unsere Verhältnisse anders dargestellt. Gretas Suche nach den Einzelteilen des Busses zum Beispiel, als ob sie die Teile ihrer Tochter zusammensuchen würde.

Zum Ende hin klären sich auch beim Leser die Zusammenhänge, auch wenn mir persönlich diese unterirdische Welt (noch) nicht ganz klar ist. Hier bietet sich viel Potential zum Interpretieren und Nachdenken bzw. -forschen.

Wer gerne mal literarisch experimentiert und sich vor dem Blick über den Tellerrand nicht fürchtet, dem lege ich Nona Fernández ans Herz. Mich auf jeden Fall hat sie mit "Die Strasse zum 10. Juli" tief bewegt.