Rezension

Comedent qui morituri

Der große Sommer
von Ewald Arenz

Bewertet mit 4 Sternen

Als junger Mensch erwartet man nichts sehnsüchtiger, als endlich erwachsen zu sein und eigene Entscheidungen treffen zu dürfen. Klug ist man ja schon. Klüger als die Erwachsenen in jedem Fall. Die haben ja keine Ahnung vom jung sein, von der Ungeduld, dass das Leben endlich beginnt. Wenn man dann erwachsen ist, kann man diese kurze Zeit der Jugend nicht mehr vergessen. Damals lag die Welt und das ganze Leben noch vor einem. Alles war so intensiv, Achterbahnen der Gefühle, die Suche nach sich selbst, die Zukunft voll mit Träumen, Ideen und Vorstellungen. Friedrich ist da gerade mittendrin. Eigentlich läuft es nicht so gut für ihn. Seine Versetzung ist gefährdet, mal wieder, und darum darf er nicht mit in den Familienurlaub, sondern soll zum Lernen für die Nachprüfungen in Mathe und Latein die Ferien bei seinen Großeltern verbringen. Aber da sind ja noch seine Schwester Alma, die gerade ein Sommerpraktikum im Altenheim absolviert, sein bester Freund Johann und das Mädchen im flaschengrünen Badeanzug aus dem Freibad. Da wird Friedrich den Sommer bei seinem strengen Großvater wohl überleben.

Ewald Arenz hat einen bemerkenswerten Jugendroman geschrieben. Er spielt in den frühen Siebziger Jahren, in denen Telefonzellen das Tor zur Welt bedeuten und digitale Ablenkung noch reine Zukunftsmusik war. Es geht um die erste Liebe, um Freundschaft und Verantwortung. Die vier Jugendlichen gehören zu der ersten Generation, die nach dem Krieg geboren wurde und für die das Leben in erster Linie unbeschwert zu sein scheint. Der Krieg ist eine Erzählung aus der Welt der Erwachsenen, auf sie allein wirft er noch seine Schatten.

Arenz jugendliche Figuren sind grundsympathisch. Sie haben Tiefe, Charakter und düstere Ecken in ihren Köpfen. Sie sind gleichsam ernsthaft und idiotisch unvernünftig. Mein jugendliches Ich wäre gern mit ihnen befreundet gewesen.

Arenz kann aber auch glaubhafte erwachsene Charaktere zeichnen. Frieders Großvater ist ein harter, unbeugsamer Mann. Ein Medizinier, in den sich Frieders Großmutter rettungslos verliebte und die Ehe einging, obwohl er ihre Kinder aus erster Ehe nicht im gemeinsamen Leben erlaubte. Das ist sowohl für Frieder als auch für mich als Leser völlig unvorstellbar. Vor allem weil Nana, Frieders Oma, so eine liebevolle, warmherzige und kreative Frau ist. Arenz Erwachsene sind fast ausschließlich Vorbildfiguren oder nebensächlich. Sie sind weder Stereotypen noch Lichtgestalten. Es sind Frieders Augen, durch die wir Leser sie betrachten. Und Frieder entdeckt in diesem Sommer neue Seiten an den Erwachsenen in seinem Umfeld. So wie er auch schmerzlich neue Seiten an sich und an seinen Freunden entdecken muss.

Ich bin beeindruckt, wie leicht Ewald Arenz seinen dichten, komplexen Roman erzählt. Wie schnell er mich mitten hinein in diesen Sommer holt, in dem die Stunden mal unendlich langsam und dann wieder rasend schnell und voller Herzklopfen vergehen. Ein kluger, vielschichtiger Ausflug in die Zeit der Jugend, die uns letztlich alle auf die ein oder andere Weise geprägt hat.