Rezension

Comics sind Kunst, ganz besonders dieser hier

Asterios Polyp - David Mazzucchelli

Asterios Polyp
von David Mazzucchelli

Bewertet mit 5 Sternen

Viele Comics hat er schon gemalt, dies ist nun Mazzuchellis erste Graphic Novel. Und dann direkt so ein großartiges Werk!

Die titelgebende Figur ist Asterios Polyp, dessen Geschichte hier erzählt wird – aus Sicht seines totgeborenen Zwillingsbruders.
Dramatischer Start – es stürmt und regnet, ein wahrhaftes Unwetter geht hernieder. In einer ziemlich herunter gekommenen, dreckigen und vermüllten Wohnung liegt ein ziemlich herunter gekommener Asterios Polyp in einem speckigen Bett und schaut Videos. Die Videoskassetten sind alle mit einem anderen Datum beschriftet und der Kerl hat ein ganzes Zimmer davon.

Es kommt wie es kommen muss – der Blitz schlägt eine Etage tiefer in das Haus ein und unser Held muss aus dem Haus fliehen. Schnell zieht er sich Schuhe über und klaubt seine wichtigsten Habseligkeiten zusammen: ein Feuerzeug, eine Uhr und ein Schweizer Taschenmesser. Was es mit diesen Dingen auf sich hat, erfähren wir im Laufe der Geschichte.
Seiner Unterkunft beraubt, sehen wir ihn als nächstes in einem Pappkarton im Regen liegend. So kann das nicht weiter gehen, sagt sich auch Asterios Polyp, fährt zur nächsten Greyhound-Station und kauft mit seinem letzten Geld ein Ticket ins Irgendwo.

Schon im Bus verschenkt er das Feuerzeug an einen versoffenen Ex-Knacki, der später noch einen dramatischen Auftritt haben soll.
Der Bus fährt in die Weiten der Provinz und passiert eine Autowerkstatt, an der eine Stelle ausgeschrieben ist. Sekunden später ruft der Fahrer den Ort als Haltepunkt aus und Asterios Polyp steigt kurzentschlossen aus und bewirbt sich um die Stelle.
Gut, dass er ein fotografisches Gedächtnis hat, denn von der Automechanik versteht er nicht allzuviel. Also schnell in die örtliche Bibliothek, eine Stunde Bücher zum Thema gelesen und schon kann’s losgehen mit der Karriere als KFZ-Mechaniker.
Zufällig hat der Inhaber auch noch ein Zimmer zu vermieten, besser geht’s ja gar nicht.

Jetzt steigen wir parallel in den zweiten Erzählstrang ein. Es wird erzählt, wie Asterios seine große Liebe trifft: Hana (oder wie er sie nennt – Daisy).
Wir erfahren, dass Asterios ein erfolgreicher und anerkannter Architekt war, mit Lehrauftrag an einer renommierten Universität. Sein einziges Manko: keiner seiner ausgezeichneten Entwürfe wurde je gebaut. Das kann dann schon mal am Ego kratzen, zum Glück hat Asterios aber reichlich davon, zumindest vorerst (soll heißen in diesem zeitlich früheren Erzählstrang).
Hier an der Universität lernt er nun auch Hana kennen, die ebenfalls als Dozentin angestellt ist. Allerdings ist sie in so ziemlich allem das genaue Gegenteil von Asterios. Er ist der berechnende egozentrische Ingenieur, sie die emotionale Künstlerin.

Nichtsdestotrotz bahnt sich hier eine Liebesgeschichte an (frei nach Reich-Ranicki: In der Literatur geht es nur um drei große Themen: Liebe, Liebe und Liebe.) – Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an.
Es dauert nicht lange und die beiden heiraten. Sie ist diejenige, die immer zurück zu stecken scheint, wo sich das Ego von Asterios breit macht.

Die Handlung springt im Folgenden immer wieder hin und her, Asterios führt philosophische Gespräche mit der Esoterikerin, die des Automechanikers Frau ist. Traumsequenzen, in denen auch schonmal der Zwillingsbruder auftaucht mischen sich mit der Geschichte der Eltern. Und die Geschichte der Ehe strebt ihrem Ende entgegen, als der kleine dickliche Tänzer/Choreograph Willy Ilium auftaucht und Hana für seine neueste Inszenierung engagiert. Fortan wendet Hana dafür immer mehr Zeit für diese Inszenierung auf und damit auch automatisch für Willy, was für das Selbstbewusstsein Asterios’ gar nicht gut ist. So geht denn auch die Ehe in die Brüche als es darüber zum Streit kommt und es schließt sich der Kreis zum Anfang der Geschichte und dem verwahrlosten Asterios in seiner verwahrlosten Bleibe.

Das Besondere an dieser Graphic Novel ist nun die unglaublich tolle künstlerische Umsetzung. Da reiht sich nicht einfach nur Kästchen an Kästchen, nix da! Mazzuchelli spielt mit allen Möglichkeiten des Genres. Da werden vordergründige Seiten weg geklappt und die Personen kommentieren parallel das Geschehen. Die Größe der Bilder reicht von Briefmarkengröße bis zur doppelseitigen Abbildung. Mit der sparsamen und zurückhaltenden Farbgebung untermalt Mazzuchelli die doch eher traurigen Grundzüge der Geschichte.
Auch die Formen der Figuren spielen eine große Rolle: Asterios ist der eher kantige Typ, passend zu seinem Charakter, wobei Hana eher etwas fließendes Weiches hat. Besonders kommt das heraus, wenn die beiden in Streit geraten: da verwandelt sich Asterios in eine Zusammensetzung von kaltblauen geometrischen Figuren, während Hana zu einem rotglühenden Emotionsherd wird.

Was es nun mit den drei Dingen auf sich hat, die Asterios beim Wohnungsbrand unbedingt dabei haben musste, bevor er die Wohnung verlies, müsst ihr euch selber erlesen! Ebenso, wie es dazu kommt, dass Asterios dem Mann aus dem Bus bei einem Punkkonzert wieder begegnet und was es mit dem Raum voller Videos auf sich hat. Es lohnt sich de-fi-ni-tiv!!!

Kurz zusammen gefasst ist das Buch also eine künstlerisch hochwertige, philosophische Geschichte über einen Mann auf der Suche nach dem großen Glück (oder war es doch die Liebe?!).
Zumindest ist hier jeder einzelne der 2.995 cent gut investiert. Das nenne ich Preis-Wert!