Rezension

Conditio Humana?

Tanz der seligen Geister - Alice Munro

Tanz der seligen Geister
von Alice Munro

Bewertet mit 5 Sternen

Jede Erzählung eine Erleuchtung. Jede Erzählung ein ruhender Sturm.

Aus unbekannten Gründen verspürte ich plötzlich das zehrende Bedürfnis einen Titel von Frau Munro zu lesen. 

Einen Fehler darf man hier allerdings nicht machen. Das "Reinlesen", welches ich auch oft und gerne anwende, ist hier sehr trügerisch. Frau Munros Erzählungen liest man ganz oder gar nicht. Nur so kann man die doppelten Böden und diese subversive Erzählungsweise wirklich durchschauen und genießen.

Alice Munro ist eine Autorin welche, wie ich aus dem allgemeinen Konsens herausfiltgefiltert zu haben glaube, aus dem tiefsten Innern der weiblichen Seele spricht. Also tendenziell eher nicht gänzlich adäquat für meine Wenigkeit. Nun habe ich mich für den "Tanz der seligen Geister" als Erzählungsband entschieden, weil dieser weniger die Leiden der Frauen behandelt als das große Thema der Adoleszenz.

Ein Buch also über das erwachsen werden. Die Protagonisten werden dementsprechend in ihrer Kindheit oder Jugendphase eingefangen. Wir finden uns wieder in beschaulichen, fast langweiligen Orten und kleinen Städten. Träge scheint das Leben der Menschen, man denkt an weite Landschaften, dünn besiedelte Landstriche und ruhige, ereignislose Tage.

Frau Munro zeigt uns kleine Episoden aus dem Leben von Menschen, welche oberflächlich völlig normal sind, so normal wie wir selbst. Und dann nach einer Weile, nach einigen Erzählungen bemerkt man es. Dieser Schatten der über allem liegt, in allem. Eine Düsternis die in den Menschen brodelt. Sie bricht nicht aus, nicht jetzt. Sie ist nur da, in jedem von uns. Lenkt uns unterbewusst. Alice Munro stellt diese Entdeckungen nie in den Vordergrund. Im Gegenteil, sie schreibt damit wir selbst entdecken können. Keine Zweideutigkeiten oder Ironie, wir lesen keine postmoderne Satire.

Stilsicher ist gar kein Ausdruck. In Munros Welten gibt es keine sprachlichen Widerhaken, keine Stolpersteine. Alles ist grazil und leicht, immer treffend und präzise. Und immer diese filigran-grotesken Momente, welche in die scheinbare Idylle hereinbrechen. Nur kurz zwar und unscheinbar, aber dennoch entsetzlich. Eine begnadete Beobachterin. Viele ihrer feinen Erzählungen sind besser als ganze Romane anderer Autoren.

Bisher konnte ich die Bücher von Autorinnen, welche ich wirklich mochte, ohne Hand abzählen. Dies hat jetzt ein Ende. Kraft meiner nicht vorhandenen Autorität und aufgrund von nur einem gelesenen Erzählungsband sage ich mutig: "Frau Munro hat den Nobelpreis verdient".

Munro schildert das Leben einfach wie es ist, wie es sein könnte. Was die Menschen tun, während in ihnen tonlos der Sturm tobt.