Rezension

Cowboygeschichte. Hat was. Aber der letzte Schliff fehlt.

Ein feiner Typ - Willy Vlautin

Ein feiner Typ
von Willy Vlautin

Bewertet mit 4 Sternen

Hab wegen der düsteren Atmosphäre dann doch noch einen Stern draufgehauen!

Willy Vlautin widmet sich in seinen Romanen den Außenseitern der Gesellschaft. So auch in seinem neuesten Werk „Ein feiner Typ“ (Originaltitel: Don't Skip Out on Me). Zumindest mir kommen sie wie Aussenseiter vor, obwohl einige amerikanische Stimmen sagen, Vlautins Protagonisten seien die „normalen, guten Typen“, so wie der feine Typ, von meinem Standpunkt aus, sind es Aussenseiter. 

Die Story: Horace Hopper kommt mit seiner Paiute-Herkunft nicht klar, kann nicht dazu stehen, schämt sich und will um jeden Preis Boxer werden statt Farmer. Dabei ist Farmern genau sein Ding und er liebt es auch. Mr. und Mrs. Reese haben ihn als 14jährigen auf der Farm aufgenommen und ihn liebgewonnen wie ein eigenes Kind. Aber er ist es eben nicht und das ist das Problem.

Die ländlichen Landstriche Arizonas haben dieselben Schwierigkeiten wie überall: Die Jugend wandert ab und die Alten schaffen es nicht mehr allein. Es lohnt sich sowie so nicht richtig.

Willy Vlautin hat seine Hauptdarsteller richtig gut getroffen. Der Roman hat etwas. Man versteht das Dilemma des alten Mr. Reese und fühlt mit ihm. Er ist der eigentliche Held der Geschichte. Er würde ja in die Stadt zu den Kindern ziehen, aber Mrs. Reese würde sich dort nicht wohl fühlen. Mr. Reese führt seit Jahren ein Tagebuch über das Auf und Ab der Krankheit seiner depressiven Frau, im September ist es am schlimmsten. Und er muss sich um die Hunde kümmern, die Schafe, den mexikanischen Schafhirten, der seit zwanzig Jahren die Sommer vollkommen alleine in den Bergen mit den Tieren verbringt und den die Einsamkeit fertig gemacht hat und zu seltsamen Agitationen treibt. Jedesmal, wenn Mr. Reese in die Berge kommt, ist er entsetzt. Aber er versteht es auch.

Dann sind da seine Freunde, die Karten spielen und ihr restliches Leben vertrödeln. Auf dem Sofa und vor dem Fernseher. Und der Bedienung auf den Hintern klopfen. Als einzige Belustigung. So kann er nicht leben, auch wenn sein Rücken ihn schier umbringt.

Mr. Reese sorgt sich überdies sehr um Horace, der in die Stadt gegangen ist. Ob er zurechtkommt mit den Niederlagen als Boxer? Die unweigerlich auf ihn zukommen werden. Mr. Reese führt in seiner unnachahmlichen Art Seelsorgegespräche mit ihm und geht ihm immer wieder nach. Schließlich gelingt es ihm tatsächlich, Horace zum Heimkommen zu bewegen. Aber es ist schon zu viel kaputt gegangen.

Horace ist man sehr nahe. Wie er sich abmüht. Wie fleissig er ist. Wie er abgelehnt wird, nur weil er mexikanisch aussieht. Wie demütig er ist. Und wie stolz.

Die Geschichte entwickelt einen ganz eigenen Sog, ist atmosphärisch dicht, liebevoll mit Details ausgeschmückt bis hin zum Unvermögen Horaces, seiner Fitness zuliebe auf Dauer seinen Lieblingsgerichten zu widerstehen: „Warum konnte er kein Lieblingsessen haben, das gut für ihn war oder wenigstens mexikanisch. Warum musste das mexikanische Essen so scharf sein. Und warum musste es in Tucson so heiß sein? Und warum war Spanisch so eine schwere Sprache?“

Doch die erzählerischen Mittel des Autors sind dann doch zu begrenzt, um die tiefe Begeisterung und Faszination aufkommen zu lassen, die den ganz großen Roman kennzeichnen. Die meisten Nebenfiguren taugen nichts, das heißt die, auf die es nicht ankommt. Warum sind sie überhaupt da? Den Leser interessiert es kein Stück, ob der Mann im Lebensmittelladen mittleren Alters ist oder der Busfahrer oder die Frau an der Haltestelle, alle sind sie mittleren Alters und der Autor wird nicht müde, es zu erwähnen -  und was sie anhaben ist auch Banane. Überhaupt beschreibt ein guter Autor seine Leute nicht so plump: er trug, sie trug, es trug, wir trugen, Hosen, Kleider, Röcke, grün, rot, gelb, blau, etc. Gute Autoren binden Beschreibungen in den Gang der Geschichte ein. Bei den Hauptfiguren gelingt es Vlautin viel besser.

Über die Sprache muss ich nachdenken. Sie ist schlicht. Viele Sätze beginnen mit einem Personalpronomen. Entweder ist dies gewollt und soll die Einfachheit der geschilderten Leute betonen oder es ist nicht gekonnt. Es fällt mir schwer, diesbezüglich eine Entscheidung zu treffen. Die Übersetzung muss man ebenfalls berücksichtigen. Aber würde sie den erzählererischen Stil so herunterbrechen?

Die Stärke des Romans sind seine Beobachtungen, die Empathie des Autors mit seinen beiden Hauptfiguren und die Dialoge. Kein Mensch redet so wie Mr. Reese und Horace miteinander reden, aber von den Dialogen erhält der Roman seine Lebendigkeit und bricht eintönige und starre Teile des Textes auf.

Fazit: Ein boxender Schafhirte, der um seine Identität ringt und ein Rancher, der alt ist, aber mit Verschmitzheit und Schläue ausgestattet trotz aller Lebensmühen immer dem Leben zugewandt bleibt und seinen Weg findet, das ist eine Kombination, die  Lesesog entwickelt. Leider fehlt die erzählerische Einzigartigkeit, die dem Roman den letzten Schliff gäbe.

Kategorie: Western
Berlin Verlag, 2019